Sommerferien in Peking
so köstliche Pekingenten machen können und irgendwann keine Gäste mehr zu dir kommen?«
Onkel Chen legt mir die Hände auf die Schulter und sagt: »Ich glaube, je mehr Leute Pekingenten machen können, desto mehr werden sich auch in die Pekingenten verlieben. Vielleicht denkt sich sogar jemand aus, wie man die Pekingenten noch schmackhafter machen könnte. Eine neue Idee, eine neue Methode ... das wäre hervorragend, da könnten wir alle noch köstlichere Pekingenten essen.«
Es ist schon dunkel, als wir wieder im Taxi sitzen. An vielen Gebäuden und den sich kreuzenden Unter- und Überführungen flimmern Lichtreklamen.
Der Taxifahrer unterhält sich mit Lao Ye. »Stellen Sie sich mal vor, dass es schon ungefähr 15 Millionen Einwohner und drei Millionen Autos in Peking gibt!«, erzählt er kopfschüttelnd und mit starkem nordchinesischen Akzent. »Kein Wunder, dass die Straßen immer breiter und die Gebäude immer höher werden. Und es wird immer weiter gebaut.«
Das finde ich eigentlich ein bisschen schade. Ich wollte letzte Woche in meine Lieblingsstraße, in die Rote Straße, gehen. Sie heißt eigentlich anders, aber ich nenne sie immer Rote Straße, weil dort überall die typischen roten Lampions hängen und manche Restaurants sogar komplett rot dekoriert sind. Wenn es dunkel wird, beginnt die ganze Straße, in Rot zu leuchten. Und an den vielen Essensständen kann man unterschiedliches chinesisches Fastfood bestellen, direkt aus den brutzelnden Töpfen und Woks. Aber das war einmal – die ganze Straße ist weg. Einfach weg. Wo früher Restaurants und Stände waren, gibt es jetzt nur noch große Einkaufszentren und ein riesiges Kino.
Ich starre durch das Taxifenster auf das bunte Treiben der Nacht und erinnere mich daran, was Mama mir immer sagt: »Der größte Fehler ist der, den man nicht korrigiert.«
Ich knuffe Mi Mi in die Seite und flüstere: »Mi Mi. Willst du noch das Lied lernen?«
Mi Mi schaut mich skeptisch an und legt den Kopf zur Seite. »Ich bin doch ein verwöhntes Einzelkind ...«, murmelt sie.
»Ach, ich war doch auch ein Einzelkind, bis Ricky gekommen ist«, sage ich. So vertragen wir uns wieder. Ich übersetze unser kleines Lied ins Chinesische und bringe ihr bei, wie man es auf Deutsch singt. Mi Mi kichert und sie begreift es überraschend schnell. Nach ein paar Minuten singen wir beide schon laut im Taxi:
»Oh, Oh, Oh,
Du armer Floh,
Hast sechs Beine
Und ’nen Holzpopo.
Tier, Tier, Tier,
Du armer Stier,
Du bist verrückt
Und trinkst nur Bier.«
»Was singen die zwei da?«, fragt der Taxifahrer Lao Ye fröhlich. Unsere gute Laune hat ihn angesteckt. Lao Ye blinzelt verwirrt: »Ich weiß es auch nicht. Es ist auf jeden Fall Deutsch.« Und das bringt Mi Mi und mich natürlich erst recht zum Kichern und wir wiederholen das Lied noch einmal ganz laut und stolz zusammen.
Bevor wir ins Bett gehen, frage ich Mi Mi noch: »Möchtest du, dass ich dir morgen zeige, wie man den Schmetterlingsdrachen baut? Vielleicht können wir auch noch einen Tigerdrachen zusammen basteln.«
Am Wochenende fahren wir mit Tante Bin zum Drachensteigen. Im Park sind noch viele andere Kinder mit unterschiedlichen Drachen. Schwarz-weiße Schwalben, rote Goldfische, starke Adler, geschickte Libellen, ein 20 Meter langer chinesischer Drachen, der von zehn Personen hochgezogen werden muss ...
Der blaue Himmel sieht mit den vielen bunten Drachen so hübsch aus wie noch nie.
Erst am nächsten Tag erfahren wir, dass Lei bei der Vorprüfung am Donnerstag in Ohnmacht gefallen ist. Ping war im Krankenhaus bei Lei, als ich versucht habe, ihn zu erreichen. Ich wollte doch mit ihm zusammen Pekingente essen gehen.
Lei und Abitur
Nachdem Lei in Ohnmacht gefallen ist, sind wir alle niedergedrückt.
»Wie ist das passiert?«, frage ich Ping mitfühlend, als wir nach dem Taiji-Training am Morgen auf dem Maulbeerbaum sitzen.
Ping antwortet, ohne mich anzuschauen: »Ich weiß es auch nicht. Mama hat Lei zur Prüfung begleitet und vor dem Schuleingang auf ihn gewartet. 15 Minuten später ist Lei von zwei Lehrern herausgetragen worden. Sein Gesicht war total mit Blut verschmiert. Niemand hat gesehen, wie es passiert ist.«
»Und wie geht’s ihm jetzt?«
»Ach, schon viel besser. Seine Stirn ist an eine Tischecke gestoßen, deswegen hat er so stark geblutet. Mama hatte befürchtet, dass etwas viel Schlimmeres passiert ist, und furchtbar geweint.«
»Zum Glück ist es nur eine Vorprüfung für das Abitur.« Ich
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