Sommerferien in Peking
er zwei Mal mit dem Kopf. Dann dreht er sich um und zieht sich in sein Arbeitszimmer zurück. Sehe ich ein Lächeln in seinen Mundwinkeln? Oder habe ich mir das vielleicht nur eingebildet?
»Natürlich kannst du Onkel Zhao einladen«, sagt Lao Lao und wechselt das Thema: »Was soll ich für deine Freunde denn kochen?«, fragt sie mich.
Die Antwort weiß ich schon ganz genau: »Jiaozi natürlich!«
Jiaozi ist eine traditionelle chinesische Speise, die ähnlich aussieht wie schwäbische Maultaschen. Meine Lao Lao macht die besten Jiaozi der Welt! Das sagt jeder, der Lao Lao kennt. Mama hat mir erzählt, dass Lao Lao und Lao Ye früher zu jedem Frühlingsfest ihre Kollegen nach Hause zum Jiaozi-Essen eingeladen haben. Es war immer ein großes Fest für Mama.
Jiaozi zu machen ist jedoch gar nicht so einfach. Es kostet viel Zeit und Arbeit, aber das Schönste dabei ist, dass jeder mitmachen kann. Selbst kleine Kinder können schon den Teig kneten.
Die letzten Tage sind wie im Flug vergangen. Nachdem ich alle eingeladen und zusammen mit Lao Lao für die Party eingekauft habe, können wir endlich Jiaozi machen.
Bevor die Gäste kommen, hat Lao Ye schon den Teig vorbereitet. Ich habe Lao Lao geholfen, Chinakohl, Frühlingszwiebeln und anderes Gemüse zu waschen. Lao Lao hat zwei unterschiedliche Füllungen vorbereitet: gehacktes Schweinefleisch mit Chinakohl und Tigergarnelen mit Eiern und chinesischem Schnittlauch. Ich war einmal bei einem Jiaozi-Bankett, da gab es über 100 verschiedene Füllungen, aber am liebsten sind mir doch die traditionellen Jiaozi von Lao Lao.
Als Lao Lao das Gemüse klein hackt, fragt sie mich: »Weißt du eigentlich, wie Jiaozi erfunden wurde?«
Ich schüttle den Kopf: »Aber ich weiß, dass die Chinesen schon vor 1800 Jahren Jiaozi gemacht haben.« Das hat Mama mir mal erzählt.
Lao Ye versucht, mir einen Tipp zu geben. »Überlege doch mal, Lisa, wie sieht Jiaozi aus?«
Ich denke ein paar Sekunden nach: »Mm ... Ich lasse Mama immer ganz viel Füllung in die Jiaozi hineinpacken, sodass diese fast platzen.« Da zupft Lao Lao mich an der Nase und sagt: »Du kleiner Feinschmecker!« Dann beginnt sie zu erzählen: »Es gab in der Dong Han Dynastie einen sehr berühmten Arzt. Er hieß Zhang Zhongjing und hat in Changsha viele Kranke behandelt, Jung und Alt, Reich und Arm. Als eine Seuche in Changsha ausbrach, hat er einen riesengroßen Topf vor seinem Haus aufgestellt und darin aus Heilkräutern Medizin gekocht. Er verteilte seine Medizin jeden Tag an die Patienten und rettete damit das Leben vieler Menschen. Er gilt heute als der Begründer der traditionellen chinesischen Heilkunde. Als er alt war, setzte er sich zur Ruhe und kehrte in seine Heimat zurück. Es war Winteranfang. Dr. Zhang traf unterwegs auf viele arme Leute, die bei Schnee und bitterer Kälte hungerten und froren. Viele hatten schon Frostbeulen an den Ohren. Das tat ihm so leid, dass er wieder einen riesengroßen Topf aufstellte. Aus gehacktem Lammfleisch, Pfeffer und anderen Kräutern bereitete er eine Füllung zu. Diese gab er auf einen dünnen Nudelteig und formte daraus kleine Teigtaschen, die wie Ohren aussahen. Er nannte sie Jiao Er , also Jiao-Ohren, und kochte sie in einer heißen Chili-Suppe. Dann gab er jedem Kranken eine Suppe mit zwei Jiao-Ohren. Nachdem die Kranken davon gegessen hatten, mussten sie ordentlich schwitzen und kamen bald wieder zu Kräften. Zum Chinesischen Neujahr waren alle gesund. Seitdem kochen die Chinesen zum Neujahrsfest immer Jiao Er, die jetzt Jiaozi heißen.«
»Oh ja! Deswegen sehen Jiaozi auch wie Ohren aus!« Es fällt mir wie Schuppen von den Augen.
Plötzlich klingelt es an der Tür: Unsere ersten Gäste sind da.
Mi Mi hält mir stolz ein Buch vor die Nase: »Dieses tolle Buch habe ich mit Mama für dich ausgewählt, damit du noch besser Chinesisch lernen kannst.«
»Danke, Mi Mi. Und wo ist deine Mama?«, frage ich.
»Sie kommt später. Onkel Zhao hat mich vom Kindergarten abgeholt.« Dann verkündet Mi Mi mit Stolz: »Meine Mama gibt jetzt Englisch-Unterricht in ihrem Hotel.«
Onkel Zhao bringt uns eine Flasche Kindersekt und Meister Zhao schenkt mir eine DVD: »Damit kannst du in Deutschland die Grundlagen der Taiji-Formen weiterüben.«
Tante Su bringt ein Foto mit. Darauf ist Zhen Zhen, der Panda abgebildet, wie er mit seiner coolen »Sonnenbrille« inmeinen Armen liegt. Ich wusste ja von Anfang an, dass ich Zhen Zhen nicht für immer behalten kann, aber was man im Kopf
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