Sommerfest
Kopf.
»Die tut nix«, beschwichtigt Jutta. »Die ist satt. Heute Morgen hatte die ein ganzes Kaninchen, die ist jetzt erst mal bedient für ’ne Woche. Pass mal auf, ich zeig euch mal, wie lang die ist!«
»Du, Jutta«, sagt Toto, »ich glaub wir müssen jetzt, ehrlich!«
»Nee, warte mal, geht ganz schnell. Ihr müsst die doch in ihrer ganzen Schönheit sehen!«
Jutta nimmt den gläsernen Deckel vom Terrarium und greift hinein. Es dauert Minuten, bis er das Tier herausgewuchtet hat, und Stefan vermutet, dass das Tier nicht begeistert ist, wenn man ihm auch nichts anmerkt. Als Jutta sich die Schlange um den Hals legt, hebt sie träge den Kopf und schiebt ein paarmal die schmale, gespaltene Zunge hervor. Irgendwo in der Mitte des Tieres meint Stefan noch die Umrisse des Kaninchens zu erkennen.
»Wenn die satt ist, ist das kein Problem«, sagt Jutta,»aber wenn die Kohldampf hat, würde ich keinen Hund frei rumlaufen lassen.«
»Super, Jutta!«, sagt Toto. »Danke, echt, aber jetzt müssen wir wirklich los, da ist ja noch der Schrank und so.« Toto klingt wie ein Therapeut, findet Stefan, der sich bei allen Bedenken kaum vom Anblick dieses riesigen Mannes und der nicht minder imposanten Schlange losreißen kann.
»Kommt bald mal wieder vorbei!«, sagt Jutta.
Stefan und Toto heben die Hand zum Gruß und gehen raus.
»Was ist das für ein Vieh?«, fragt Stefan, als sie wieder vor der Wohnung stehen.
»’ne Schlange«, sagt Toto todernst.
Stefan sucht in Totos Zügen nach Anzeichen von Scherz, Ironie, Satire oder tieferer Bedeutung. Fehlanzeige. »Kein Scheiß jetzt?«, sagt er. »’Ne Schlange?«
»Definitiv«, sagt Toto ernst.
»Kein Delfin oder so?«
Toto begreift. »Verarschen kann ich mich alleine.«
»Da bin ich sicher, Toto«, sagt Stefan, »aber ehrlich gesagt, fühle ich mich ein bisschen verarscht, denn noch immer habe ich nicht den Hauch einer Ahnung, wie wir dieses Teil hier rauskriegen. Und die Sackkarre wird uns auch nicht dabei helfen.«
»Hilf mir mal!«, sagt Toto.
Gemeinsam rücken sie die Schrankwand in die Mitte des Zimmers. Triumphierend deutet Toto auf den rückwärtigen Teil des Möbels, und Stefan erkennt, dass das Ungetüm aus drei Einzelteilen besteht.
»Das haben wir in null Komma noch weniger auseinander und unten im Wagen.«
Bemerkenswert fix ist das Ding in drei Teile zerlegt. Beim Transport nach unten stellen sie sich tatsächlich so clever an, dass weder die Schrankteile noch die Wände übermäßig leiden müssen, was Stefan dann doch auch irgendwie stolz macht. Als sie wieder im Transporter sitzen und sich auf den Weg machen, ist Stefan komplett durchgeschwitzt, hat aber auch das Gefühl, richtig was geleistet zu haben. Einen Beruf muss man ja nicht gleich draus machen.
»Guck mal, der Florian!«, sagt Toto, als sie kurz darauf auf der B 1 am Fernsehturm vorbeifahren. Übergangslos fährt er fort: »Ist ’ne scheiß Geschichte mit Diddi und der Familie, was?«
»Keine Ahnung.«
»Ja, ja, du kriegst ja nix mit, da in den Alpen, aber guck dir die doch an. Die Zwillinge passen bald durch keine Tür mehr. Die kacken in der Schule so was von ab, die Jungs, die schaffen nicht mal die Hauptschule, echt traurig. Die gehen zum Klauen wie andere Leute ins Fitness-Studio. Bei denen geben sich die Sozialarbeiter die Klinke in die Hand, aber nützen tut das nix. Und Diddi ist der einzige Normale. Der versucht, den Laden zusammenzuhalten, aber die hören ja nicht auf den.«
Toto zündet sich eine Zigarette an, und Stefan kurbelt wieder das Fenster herunter.
»Die Türken kommen! Da hab ich gelacht, ehrlich! Das ist ’ne Marke, der Diddi, echt!«
»Was ist denn daran so lustig?«
»Ey, komm, Schauspieler, jetzt stell dich mal nich dööfer als du bist! Früher hieß es doch immer, die Russen kommen, aber die sind ja erst mal geblieben, wo sie waren, und als die dann gekommen sind, war das ganz anders, also nicht mit Raketen und Panzern und so, sondernmit jede Menge Kohle und mit Tennisspielerinnen: Ey, die russischen Tennisspielerinnen, Beine bis zum Boden und nicht so verkniffene Lesben wie früher, richtig geile Teile sind das heute! Na ja, und jetzt heißt es, die Türken kommen, aber die sind ja schon da, und das ist doch zum Totlachen! Aber jetzt ist erst mal Lunchtime, ich lad dich ein!«
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7 Kurz vor Bochum führt die A 40 durch eine Senke, und man sieht all die Autos, die sich auch am Samstagnachmittag über den in der Sonne flimmernden
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