Sommerfest
wurde nicht gespart, da gönnte man sich was. Das ganze Becher- und Spirituosen-Ensemble stand vor einem Spiegel-Hintergrund und wurde von oben beleuchtet, was dem Ganzen die Anmutung einer Mini-Schatzkammer gab.
Stefan spürt einen Anflug von Wehmut, dann aber reißt er sich zusammen. »Wie, verdammt noch mal, sollen wir dieses Teil hier rauskriegen? Geschweige denn die Treppe runter? Das Ding sieht aus, als sei das Haus drum herumgebaut worden! Und was willst du überhaupt damit?«
»Ey, das ist noch voll in Schuss! Wenn das hier stehen bleibt, kommt das weg, das wär doch zu schade. Und Diggo kann das Ding gut gebrauchen.«
Aha, Toto ist also im Auftrag seines Herrn unterwegs.
»Aber wie kriegen wir das hier raus?«
»Im Keller ist ’ne Sackkarre, damit haben wir das in paar Minuten unten im Wagen.«
»Eine Sackkarre? Das heißt nicht umsonst Schrank wand! Die kriegen wir doch schon gar nicht durch die Tür, die ist doch mindestens zweifuffzich hoch!«
»Am Stück hätten wir Probleme, aber wir nehmen die ja auch auseinander.«
»Das auch noch!«
»Ich hol jetzt erst mal die Sackkarre. Und im Keller ist auch Werkzeug. Entspann dich, ruh dich aus, und hinterher schmeiß ich eine Runde Currywurst à la carte vom Feinsten und mit Sahnehaube.«
Toto ist raus, bevor Stefan noch was sagen kann. Plötzlich wird es merkwürdig still. Stefan tritt ans Fenster. Draußen fährt kein Auto, und kein Mensch ist auf der Straßezu sehen. Eigentlich sollte er sich aus dem Straub machen. Scheiß auf Freundschaftsdienste. Toto ist ja nicht mal sein Freund. Und nicht mal richtig engen Freunden hilft Stefan freiwillig beim Umzug. Kisten schleppen, Möbelstücke durch Türen bugsieren, die dafür zu schmal sind, Bier und Pommes auf dem Fußboden oder, noch schlimmer, Würstchen und selbst gemachter Kartoffelsalat, lauter Speisen also, die einem gleich wieder hochkommen, sobald man sich anstrengt. Und immer ziehen die Leute von einem vierten Stock in einen anderen. Von Parterre zu Parterre? Keine Chance. Wer eine Wohnung im Parterre hat, gibt die nicht her, zieht also nicht um. Und wenn, dann ruft er oder sie jemand anders an. Bei Stefan melden sie sich nur, wenn Treppenhäuser im Spiel sind.
Ein Geräusch, als ob Wasser in einem Ausguss gurgelt, lässt ihn herumfahren. Da, wo vorher die Zimmertür war, erhebt sich jetzt ein Menschenmassiv, ein mindestens zwei mal zwei Meter hoher und breiter Glatzkopf in einer Lederweste, unter welcher er der Einfachheit halber und des schönen Wetters wegen auf Hemd oder T-Shirt verzichtet hat. Der haarige Bauch sieht aus wie aus Beton. Oberschenkel wie Elefantenbäuche spannen eine schwarze, an den Seiten geschnürte Lederhose. Die Tätowierungen auf den schwabbeligen Oberarmen wirken wie mit dem Kugelschreiber unter die Haut geritzt. Stefan geht davon aus, dass diese Verzierungen nicht in einem der in den letzten Jahren aus dem Boden geschossenen Tattoo-Shops gemacht wurden, sondern eher an einem Ort, wo um zehn Uhr das Licht ausgemacht wird und es pro Tag eine halbe Stunde Hofgang gibt.
»Ich hab Krach gehört hier«, brummt der Menschenberg.
»Ich bin hier mit Toto«, sagt Stefan, in der Hoffnung, dass das als Aufenthaltsgenehmigung ausreicht. »Toto Starek.«
»Hier ist sonst kein Krach mehr. Wohnt ja keiner mehr hier. Und da dachte ich, ich komme mal gucken.«
»Wir wollen den Schrank abholen.«
»Wird auch Zeit.«
Stefan ist erleichtert, dass die Aktion für den Glatzkopf offenbar in Ordnung geht und er keine absurden Besitzansprüche auf die Schrankwand anmeldet, deren vermutete Verletzung ihn zu Vergeltungsmaßnahmen zwänge.
»Ja, der Schrank, also, der ist gleich weg. Paar Minuten noch. Toto holt gerade die Sackkarre aus dem Keller.«
Der Glatzkopf nickt und schiebt die Unterlippe vor. »Willst du mal was sehen?«
»Tja, äh, was denn?«
»Komm mal mit!«
Der Berg dreht sich um und quetscht sich durch die Tür. Stefan weiß nicht, was er tun soll.
»Komm! Jetzt ist sie gerade wach!«
Stefan will nicht durch mangelnden Gehorsam Unmut erregen und folgt dem anderen, der jetzt auf dem Treppenabsatz vor der Tür steht und einladende Handbewegungen macht. Außerdem verzerrt er ganz merkwürdig das Gesicht, und erst nach einigem Nachdenken kommt Stefan darauf, dass das wohl ein Lächeln sein soll.
Der Glatzkopf stößt die Tür zur Nebenwohnung auf. Hier findet sich der gleiche Bodenbelag, und auch die Tapeten verraten, dass man seinerzeit den gleichen Innenarchitekten
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