Sommerfest
beauftragt hat. Nur ist diese Wohnung nicht so leer wie die andere. Und still ist sie auch nicht. Aus einem der Zimmer dröhnt ein Fernseher. Der Geräuschkulissenach zu urteilen bekämpft das Gute die Mächte der Finsternis mit schweren Waffen, und es gibt Verluste auf beiden Seiten.
»Warte mal eben, ich sag nur Bescheid!«, sagt der Berg und öffnet eine der Türen. Der Lärm schwillt an, und Stefan sieht mehrere Menschen auf zwei durchgesessenen Ledersofas hocken: eine erstaunlich schmale Frau in einer dunkelbraunen Stoffhose und einem verwaschenen roten T-Shirt mit ausgeleiertem Halsausschnitt; ein männliches Zwillingspärchen, vielleicht sechzehn Jahre alt und längst schon Kunden in einem Fachgeschäft für Übergrößen, aber einem, in dem vor allem schwarze Sachen angeboten werden; ein bemerkenswert mageres Mädchen, das kaum älter als vierzehn sein kann und einen kurzen, roten Lederrock trägt und so breitbeinig dasitzt, dass man den Schlüpfer darunter sehen kann; ein unrasierter, älterer Mann mit dicken Tränensäcken unter den Augen und in einem dunkelblauen Trainingsanzug mit zwei Streifen an Armen und Beinen, ein Modell, das heute von jungen Leuten als Retro-Chic getragen wird, aber irgendetwas sagt Stefan, dass das hier ein Original aus den Siebzigern ist, wo man mit zwei Streifen seine soziale Randständigkeit zementierte.
Am auffälligsten jedoch ist ein Mann Ende zwanzig in einem strahlend weißen Trainingsanzug mit goldenen Applikationen auf der Brust. Unter der Jacke trägt er nur ein weißes Feinripp-Unterhemd und um den Hals eine absurd filigrane Goldkette mit einem kaum wahrnehmbaren Kreuz. Der Weißgekleidete federt aus dem Sofa hoch und kommt zu ihnen an die Tür.
»Ey, was los?«
»Der hier ist nebenan«, sagt der Berg.
»Hallo, Jutta!«, ruft einer der Zwillinge vom Sofa.
Der Berg hebt kurz die Hand und grüßt zurück.
Jutta?
»Und was schleppst du den an?«
Der Typ im weißen Trainingsanzug redet ein bisschen wie ein türkisch-deutscher Komiker oder wie ein Berliner Gangsta-Rapper, scheint aber gebürtig deutscher Zunge zu sein.
»Er sagt, er ist hier mit dem Starek.«
»Toto? Was will die Amöbe?«
»Den Schrank abholen.«
»Den Schrank? Den scheiß Schrank abholen? Der Penner rückt hier am Samstag mit ’nem andern Penner an und will den Schrank abholen?«
»Sieht so aus«, sagt der Mann, den sie Jutta nennen.
»Watt soll der Scheiß?«, wendet sich der Trainingsanzug an Stefan.
»Ich bin ein alter Bekannter von Toto. Er hat mich gefragt, ob ich ihm helfe, und ich bin mitgekommen. Ich weiß von nichts.«
Der Miene des Trainingsanzugs ist anzusehen, dass sich in den nächsten Sekunden entscheidet, wie das Gespräch weitergeht. Zwischen Prügelei und Folter bis hin zu Verbrüderung bei Bier und Korn scheint alles möglich.
»Was mach ich jetzt mit dir?«
»Lass mal, Diddi, ich glaub, der ist in Ordnung«, sagt Jutta.
Diddis Kopf fährt herum. »So, du glaubst also, der ist in Ordnung! Hast du mit dem schon geduscht, oder was? Habt ihr schon zusammen paar Tage auf Malle am Strand gelegen und euch ’ne Nutte geteilt, oder was? Woher weißt du, dass der in Ordnung ist, Jutta, sag mir das mal!«
»Ich weiß nicht«, sagt Jutta. »Ist einfach so’n Gefühl. Menschenkenntnis, weißt du?«
Diddi sieht Jutta lange an, wendet sich dann wieder Stefan zu und sagt: »Na, wenn das so ist. Wenn die Menschenkenntnis von Jutta sagt, dass du in Ordnung bis, dann will ich da heute mal drauf vertrauen.«
Das ist das Stichwort für Toto Starek, der genau in diesem Moment die Treppe hochgepoltert kommt, die Sackkarre im Schlepp.
»Toto, du Arschgeige«, ruft Diddi, »was läufst du hier am heiligen Samstag auf und störst die Totenruhe?«
»Wieso heiliger Samstag? Spielt Borussia?«
»Hör mir auf mit dem Scheiß, ey. Beim nächsten Training trete ich die alle in ihren Millionenarsch, da können die sich drauf verlassen, aber so was von!«
»Ich will nur den Schrank abholen.«
»Und ich dachte schon, die Türken kommen.«
»Die Türken kommen?« Toto lacht übertrieben. »Der ist gut! Die Türken kommen! Echt, ey!«
»Ja, ja, krieg dich mal wieder ein, du Windelträger!«
Das Nächste, was man hört (abgesehen von der Kakofonie der Gewalt aus dem Wohnzimmer), ist die blecherne Karikatur eines ohrenbetäubenden Schreis, gefolgt von Gitarrenriffs, gegen die AC / DC sich ausnimmt wie Folkmusik der besonders verträumten Sorte. Diddi greift in seine Hosentasche, holt ein
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