Sommerfest
übrigens nicht: »Der Dialekt und diese ganze Zufriedenheit und dieses Leichte überall! Dafür aber: die Berge! Wir Polen lieben die Berge! Das Problem sind die Frauen und wie sie reden! Kein Pole könnte etwas mit einer Frau anfangen, die bayrisch redet! Es funktioniert nicht! Du bekommst keine Erektion bei dem Brei, der sich aus ihnen ergießt. Aber die Berge!« Stefan gibt ihm recht, geht los und sucht Charlie.
Er findet sie im oberen Stockwerk, bei den Bildern. Sie steht zusammen mit dem anderen Polen, dem Glatzkopf, Bier in der Hand. Herrje, was wird hier heute weggesoffen, denkt Stefan, und dann steht er neben ihr, sie lehnt sich an ihn, und Stefan dankt Gott für den Alkohol, obwohl es ja, laut Udo Jürgens, der Teufel war, der den Schnaps gemacht hat, und zwar, um uns zu verderben, aber das hier ist ja Bier, denkt er, und überhaupt ist alles, was Charlie dazu bringt, sich an mich anzulehnen, ja mich überhaupt zu berühren, von Gott gesandt, an den ich vielleicht gar nicht glaube, vielleicht aber doch, weil mir zu echtem, knallhartem Atheismus einfach der Mut fehlt. Vielleicht ist da doch jemand oder etwas, und wenn man nicht rechtzeitig geglaubt hat, steht man irgendwann da im kurzen Hemd und wird nicht reingelassen, wo auch immer.
Karol heißt der Glatzkopf, und er redet über seine Werke. Sie stehen vor zwei fast gleichen Bildern, auf denen ein Mann in einem langen, dunklen Mantel an einem Strand zu sehen ist, auf einer Düne ein Leuchtturm und eine Art Wachturm, außerdem eine Frau oder ein Mann auf einem Stuhl, davor ein sehr niedriger Tisch, auf dem vielleicht etwas zu essen liegt, aber das kann Stefan nicht so genau erkennen. Das eine, auf dem der Mann im dunklen Mantel, den man nur von hinten sieht, Richtung Leuchtturm blickt, ist in erdigem Ocker und Braunrot gehalten. Auf dem anderen ist die Düne mit Dünengras bewachsen und der Mann im dunklen Mantel im Halbprofil zu erkennen. Vielleicht betrachtet er den Mann oder die Frau auf dem Stuhl, aber Stefan hat den Eindruck, er hat etwas im Dünengras bemerkt, und irgendwie weiß Stefan, dass sich da etwas Gefährliches versteckt hat. Der Clou, so erzählt Karol gerade, sei, dass er als Untergrund Silber- und Goldpapier aus Zigarettenschachteln benutzt habe, was den Bildern, wenn man näher herangeht, tatsächlich eine besondere Struktur und Anmutung verleiht.
Von Karol stammt auch die Version der Odyssee, die sie unten gesehen haben, und Stefan fragt ihn, wieso Odysseus einen Ledermantel trägt. Karol meint, er sehe Odysseus als faschistoiden Charakter, und Stefan sieht ein, dass man dann um einen Ledermantel nicht herumkommt.
Karol ist bestimmt zehn, fünfzehn Jahre älter als Stefan, aber wie man ihn da so reden hört, denkt man dann schon wieder an sich selbst, als man Anfang zwanzig war, und fragt sich, wie man es hinkriegt, auch mit Mitte fünfzig noch immer so begeistert von dem zu sein, was man tut, und dann auch noch so begeistert darüber zu erzählen. Und die Begeisterung wird durch diesen absolut göttlichen Akzent noch unterstrichen, aber vielleicht ist Stefan da auch einfach dem Klischee auf den Leim gegangen, dass der Slawe an sich halt unheimlich melancholisch ist, der Pole vor allem, dessen Land ja immer wieder geteilt und hin- und hergeschoben worden ist zwischen Deutschland und Russland, beziehungsweise der Sowjetunion, aber sie haben sich nicht unterkriegen lassen und singen immer wieder Noch ist Polen nicht verloren, aber eben fast, und das macht einen immer auch ein bisschen traurig und wehmütig, und dann kommt der Wodka, und man wird noch wehmütiger, und Stefan fragt sich, wie er denn damit jetzt das mit der Begeisterung erklären will. Bis unter die Fontanelle ist er voll mit Halbwissen und Halbgefühlen, aber er findet es hier einfach großartig, und am großartigsten findet er diese kaum auszuhaltende Hitze, die sein Körper jetzt dort entwickelt, wo Charlies Körper ihn berührt.
Charlie macht eine Bemerkung, und Karol lacht und klatscht in die Hände. Sie gehen ein paar Meter weiter und stehen vor einem vielleicht zwei Meter hohen, aber mindestens fünf Meter breiten Wandgemälde, das entweder sehr viele Balletttänzer in unterschiedlichen Posen zeigt oder einen einzigen, dessen Bewegung in mehrerePhasen unterteilt ist. Gesichter sind keine zu erkennen, die weißen Körper bewegen sich vor einem absolut schwarzen Hintergrund, der immer wieder durch das Weiß hindurchschimmert. Stefan fragt sich, ob das Absicht ist
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