Sommerfest
die in diesem Haus arbeiten, unterstützen möchte.
Dann kommt Mandy, umgezogen, aber nicht komplett abgeschminkt. Ein paar Leute applaudieren noch mal, aber das scheint ihr gar nicht recht zu sein. Ihre Verlegenheit ist echt, denkt Stefan, sie will einfach nur singen. Charlie und die Tenholts sagen ihr, wie sehr es ihnen gefallen hat, und Stefan hat eigentlich vor, etwas viel Geistreicheres zu sagen, irgendwas, das Mandy beweist, dass er nun wirklich begriffen hat, was sie da macht, aber da berührt ihn jemand am Arm, und eine Stimme sagt: »Stefan?«
Er dreht sich um und sieht einen Mann vor sich, den er irgendwoher kennt, den er aber nicht einordnen kann. Er stellt sich als ein Schauspieler heraus, der vor Jahren an Stefans Münchener Theater als Gast engagiert war und mit dem er mal eine Nacht versackt ist. Netter Typ eigentlich, denkt Stefan, hat aber eigentlich keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten, da er lieber mit Charlie da weitermachen will, wo sie vorhin aufgehört haben, obwohl das natürlichfalsch wäre, denn er hat eine Freundin, ja sogar ein ganzes Leben, und irgendwie hofft man doch, dass sich so was richtiger anhört, wenn man es nur häufig genug denkt. Er ist aber noch nicht betrunken genug, um richtig unhöflich zu sein, also lässt er sich auf das Gespräch ein, wodurch er irgendwie von den anderen wegtreibt, also ganz konkret, die räumliche Entfernung zwischen Stefan und der Gruppe um Mandy nimmt zu, und als der Kollege, dessen Namen Stefan nicht einfällt, jemanden sieht, den er kennt, und Stefan daraufhin einfach stehen lässt, stehen die anderen schon draußen vor der Tür, nur beleuchtet von dem Licht, das aus der breiten, offenen Tür und den oberen Fenstern auf den Hof fällt. Sie sind ins Gespräch vertieft und sehen sich nicht nach ihm um. Die brauchen mich nicht, denkt er, ich gehöre nicht dazu. Die sind froh, wenn ich wieder weg bin, ich bringe doch nur alles durcheinander.
Er weiß, er steigert sich da in was hinein, aber das war schon immer eine seiner Stärken, sich in was reinsteigern. Einsam und allein bin ich, denkt er, ein Mann, ein Bier.
Jetzt heißt es aber auch konsequent sein. Stefan geht wieder über die Wendeltreppe ins obere Stockwerk, schlendert an den Bildern vorbei, ohne sie wirklich zu sehen, findet schließlich einen alten Lehnstuhl in einer Ecke und setzt sich hinein.
Er kommt sich plötzlich sehr fremd vor. Fehl am Platz. So eine Empfindung von Fremdheit hat er in München in den letzten Jahren nie gehabt, erst hier, wo er jeden Stein kennt, wo jeder Meter Asphalt mit Erinnerungen verbunden ist, steigt das in ihm auf. In München, da ist alles festgemauert in der Erden. München ist sich seiner selbst so sicher, dass das auch auf Zugewanderte abfärben kann,solange sie sich einigermaßen benehmen können. Woanders weiß er selber, wer er ist, hier wissen es die anderen, das ist Heimat. Da es doch immer am wichtigsten sein soll, dass man über sich Bescheid weiß, überkommt ihn plötzlich eine große Sympathie für das Leben, das er in den letzten zehn Jahren geführt hat. Und ein großer Teil dieses Lebens ist Anka.
Vier Jahre geht das jetzt mit Anka. Am Anfang war es großartig. Nach ein paar unglücklichen Geschichten mit mehr oder weniger neurotischen Kolleginnen und einer etwas längeren Sache mit einer Buchhändlerin, die nicht gerne ins Theater ging, was Stefan eine Zeit lang sehr erfrischend fand, bis ihm auffiel, dass er sich über kaum etwas anderes unterhalten konnte als Theater, war Anka ihm zunächst angenehm unkompliziert vorgekommen. Sie konnte sich begeistern, gab sich nicht so ostentativ abgeklärt wie andere und war manchmal ein bisschen verrückt, aber nicht so sehr, dass es unangenehm wurde. Sie konnte laut und befreiend lachen, also so befreiend, dass der Mitlachende sich gleich mit befreit fühlte. Sie half, nicht nur bildlich gesprochen, alten Leuten über die Straße, hach, wenn man so an die Anka der ersten zwei Jahre dachte, dann konnte einem richtig warm ums Herzen werden.
Irgendwann jedoch kippte da was. Sie wirkte oft erschöpft und übellaunig, kritisierte Stefan nach seinen Premieren auf eine so destruktive Art und Weise, dass sie sich nicht wie sonst, zwei, drei Stunden leidenschaftlich stritten, sondern das Gespräch nach zehn Minuten zum Erliegen kam, weil es eh keinen Sinn hatte. Wie viele Künstler will Stefan, besonders nach der Nervenprobe einer Premiere, vor allem Zustimmung, Lob, Liebe, wohl wissend, dassdas nicht
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