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Sommerfest

Sommerfest

Titel: Sommerfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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fünfzehn abbekommen.«
    »Was soll das heißen?«
    »Ich bin Baujahr ’92, und was war da Nummer eins? Also der beliebteste Vorname für Mädchen? Genau: Sarah. Mit h hinten oder ohne. Und was kriege ich: Jessika! Mit k! Und der war nur Platz fünfzehn, das ist doch krank, so was!«
    »Ich finde, du solltest dich im Krankenhaus untersuchen lassen. Oder dich wenigstens zu Hause hinlegen.«

    Jessika mit k legt den Kopf schräg und macht große Augen: »Mammi sagt, Jessika soll Heia machen? Aber Jessika noch nicht müde! Bitte, Mammi, Jessika noch aufbleiben.«
    »Langsam verstehe ich ihren Bruder«, sagt Karin.
    »Wenn Mammi will, dass Jessi ins Bett geht, dann muss sie Jessi aber auch nach Hause bringen und ihr noch was vorlesen«, sagt Jessika.
    Jetzt ist auch Charlies Geduld am Ende. »Pass mal auf, Mädchen! Ich bin wahrscheinlich der erste Mensch seit Jahren, der dich gefragt hat, wie es dir geht, und du redest nur Blödsinn! Und ja, ich werde dich jetzt nach Hause bringen, weil man in deinem Zustand nicht nachts draußen herumlaufen sollte. Entweder du sagst mir jetzt, wo du wohnst, oder ich schleppe dich ins Krankenhaus und ruf die Polizei!«
    Stefan ist gespannt auf Jessikas Reaktion, aber die ist unspektakulär. Das Mädchen zieht nur ein wenig den Kopf ein, schiebt die Unterlippe vor und hebt die Hände. Charlie fragt sie erneut, wo sie wohnt, und Jessika zeigt die Straße rauf, und dann geht Charlie mit ihr los und sagt, die anderen sollen warten. Stefan ist ganz verdattert. Alle sehen ihn an, bis er begreift, was sie ihm sagen wollen, nämlich, dass er mitgehen soll, weil er sonst ein kompletter Idiot ist. Während Stefan zu Charlie und Jessika aufschließt, stellt er fest, dass er sich jetzt schon seit einigen Stunden in Charlies unmittelbarer Nähe aufhält, aber noch keine Sekunde wirklich mit ihr allein gewesen ist und dass er sich nach nichts mehr sehnt, als mit ihr irgendwo in aller Stille zusammenzusitzen.
    Oder zu liegen. Bei ihr zu liegen. Aber das schlägt er sich gleich mal wieder aus dem Kopf, denn damit kam ja das ganze Schlechte in die Welt, das ist ihr Biss in den Apfel gewesen, diese Nacht in der Gartenlaube seiner Eltern, die er genauso abwickeln musste wie das Haus. Hier wie dort musste er Sachen ausräumen, Persönlichstes seiner toten Eltern, Jacken, Hosen, Unterwäsche, Fotos und alles Mögliche aus dem Haus, in dem er aufgewachsen war und in das ein paar Wochen später Onkel Hermann einziehen sollte, sowie allerlei Nippes und alte Biergläser und halb leere Cognac-Flaschen aus der Gartenlaube. Die simpelsten, oft sehr hässlichen Gegenstände brachten ihn zum Heulen, und plötzlich hatten sie beide nichts mehr an.
    Natürlich hatte er Charlie schon früher nackt gesehen. Schon als Kind, wenn Oppa Willy das aufblasbare Planschbecken hinterm Haus Rabe mit Wasser füllte und Stefan und Charlie darin herumsprangen, sich gegenseitig nass spritzten, aufeinander herumrutschten und sich Wasser aus Förmchen, mit denen sie sonst im Sand spielten, über den Kopf kippten. Später dann im Freibad, wenn Charlie im Bikini herumlief und sich ihre Brustwarzen abzeichneten. Oder in dieser kleinen Bucht in der Nähe von Nizza, wo sie einen Urlaub zu viert verbrachten. Charlie mit ihrem damaligen Freund, dessen Name Stefan jetzt nicht einfällt, und Stefan mit Dagmar, von der Charlie ihm abgeraten, mit der er aber trotzdem was angefangen hatte, wie aus Trotz, weil seine große, nicht-leibliche Schwester sich mal schön aus seinem Leben heraushalten sollte, was natürlich nur zu Streit und Schmerz und Herzbruch führte, weil Charlie in solchen Dingen immer recht behielt. Und in dieser kleinen Bucht bei Nizza haben sie nackt gebadet, und Charlies Freund raunte Stefan zu, dass er Dagmar auch nicht von der Bettkante schubsen würde und ob sie es nicht mal zu viert versuchen sollten. Stefan war einem solchen Abenteuer nicht prinzipiell abgeneigt, konnte es sichaber nicht mit Charlie vorstellen, weil er sich von ihr dann doch immer beobachtet und bewertet gefühlt hätte, mal abgesehen davon, dass so etwas für Charlie sowieso nicht infrage kam, wie sie ihm Jahre später entrüstet versicherte, nicht aus moralischen Gründen, sondern weil sie sich lieber auf einen einzelnen Menschen konzentriere.
    In seinem ersten Jahr an der Schauspielschule bildeten sie sogar eine Wohngemeinschaft, wo sie sich gegenseitig ein paarmal im Bad überraschten, weil sie immer wieder »vergaßen«, die Tür abzuschließen, und

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