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Sommerfest

Sommerfest

Titel: Sommerfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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sie auf den Hals zu küssen, also tat er das auch, und plötzlich ging alles sehr schnell. Er schälte sie aus der Jacke, sie fummelte an seiner Hose herum, dann war da die alte Matratze, und bald trug Charlie nur noch das Lederarmband, das er ihr in grauer Vorzeit geschenkt hatte, und das lederne Kehlbändchen, das sie mindestens genauso lange nicht abgelegt hatte.
    Sie waren nicht betrunken, sie sahen sich in die Augen, sie hatten keine Ausreden, keiner von beiden konnte hinterher behaupten, sich nicht daran zu erinnern, mal abgesehen davon, dass es jeder Laubenpieper in fünfhundert Metern Umkreis hören musste. Was sie da taten, war besser als erlaubt, und hinterher fingen sie nicht an zu heulen, keiner von beiden lief weg, sie lagen einfach da, und Stefan dachte an seine Eltern und an sein Leben und was jetzt werden sollte, und zum ersten Mal seit Langem wusste er ganz genau, was jetzt zu tun war: Er musste hier weg, da gab es kein Vertun.
    Endlich hat Stefan Charlie und Jessika eingeholt und kann hören, worüber sie reden, nämlich über die Schwierigkeiten, ein Kind großzuziehen, und genauso wie Stefan sich darüber wundert, dass ein junges Mädchen wie Jessika nicht nur verheiratet, sondern auch noch Mutter ist, findet er es bemerkenswert, wie Charlie auf sie eingehen kann, obwohl sie bei dem Thema völlig ohne Erfahrung ist. Jessika wirkt jetzt gar nicht mehr so angeschlagen und betrunken, ja nicht mal mehr so dumm wie noch vor ein paar Minuten, und als sie vor einem Haus stehen, an dem an fast allen Fenstern Satellitenschüsseln montiert sind, reicht Jessika Charlie die Hand und bedankt sich, aber Charlie sagt, nein, nein, sie komme jetzt noch mit nach oben, um sicher zu sein, dass wirklich alles in Ordnung ist. Jessika meint, das sei nicht nötig, das mit dem Auge, das sei ihr Bruder gewesen, Marcel würde ihr so etwas nie antun.
    »Marcel, weißt du«, sagt Jessika, »der ist immerhin Platz sechs. Aber was so Liebe und so was angeht, also die Frau behandeln und so, da ist er eindeutig Platz eins, kein Thema.«
    »Das freut mich zu hören«, sagt Charlie.
    Stefan freut sich auch, denn das heißt, dass sie hier hoffentlich schnell wieder wegkommen. Die Traurigkeit der Lebensverhältnisse anderer Menschen ist für ihn wie Treibsand.

    »Der kümmert sich, der Marcel, ehrlich. Der sitzt da oben und hat den Fernseher ganz leise, damit das Kind nicht aufwacht.«
    »Und wie heißt dein Kind?«, will Stefan jetzt dann doch wissen.
    »Leon!«, sagt Jessika stolz. »Klare Nummer eins, drei Jahre hintereinander. Wenn du dir die Jahre seit 2000 anguckst, ist er nur die Nummer zwei, hinter Lukas, aber Lukas, das hört sich irgendwie krank an. Gab es nicht in der Bibel einen Lukas? Oder soll er mit dem Namen Lokomotivführer werden, oder was?«
    »Und was wird er mit Leon? Profikiller?«
    »Würd er auf jeden Fall mehr mit verdienen«, sagt Jessika.
    »Okay«, meint Charlie, »dann geh mal hoch zu deinem Mann und mach einen Bogen um deinen Bruder.«
    »Ach, dem hau ich nächstes Mal selber wieder eine rein. Voll in die Klöten, wenn er nicht damit rechnet.«
    »Guter Plan.«
    Und dann verschwindet Jessika im Hausflur. Stefan und Charlie stehen da und betrachten das Licht, das durch das Strukturglas der Haustür fällt, und als es wieder dunkel wird, stellt Stefan fest, dass sie immer noch dastehen und nichts sagen und lieber die Tür anstarren, als sich gegenseitig anzusehen, denn jetzt sind sie allein miteinander, und genau das wird beiden geradezu schockartig klar. Gut, heute Nachmittag, als sie dort gestanden haben, wo früher die Bude gewesen ist, in deren Toilette sie sich geküsst haben, da waren sie auch ein bisschen allein, aber nicht so lange, und die anderen sind nur fünfzig Meter entfernt gewesen. Außerdem ist es jetzt dunkel, da fühlt man sich ja öfter mal ein bisschen allein, die anderen sind nicht zusehen, und es ist still, und kein Auto fährt vorbei, näher kommt man in dieser Gegend an Romantik nicht ran.
    »Du willst also dein Elternhaus verkaufen?«, sagt Charlie.
    »Äh, ja, genau.«
    »Sackst die Kohle ein und fährst wieder in die Alpen und machst Bussi hier und Bussi da und wirst demnächst noch Bayern-Fan, oder was?«
    »Was soll ich denn sonst mit dem Haus machen? Ich kann es ja schlecht leer stehen lassen. Und Vermieter will ich nicht werden, da hat man doch nur Ärger. Und dann gibt es noch tausend Gründe.«
    »Bla, bla, bla.«
    »Mal ehrlich: Was weißt du denn über mich? Du weißt

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