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Sommerfest

Sommerfest

Titel: Sommerfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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genau am richtigenPlatz. Sie hat doch mit allem recht, denkt er, so wie immer. Er muss ihr sagen, dass er dabei ist. Bei der Sache mit der Kneipe und allem anderen auch. Wenn er das Haus seiner Eltern verkauft, kann er auch noch etwas Geld in die ganze Sache einbringen.
    Aber bevor er das sagt, fängt er an, sie zu küssen, hinters Ohr und mitten in die Haare hinein, was ein bisschen merkwürdig ist, weil man in diesem Haarhaufen so versinken kann, dass man keine Luft mehr bekommt. Gleichzeitig fängt er an, sie zu streicheln, was ihr offenbar gefällt, also macht er weiter und schiebt ihr T-Shirt hoch, aber da packt sie sein Handgelenk und meint, sie müsse ihm noch was sagen.
    Der Vorteil, wenn man jemanden sein ganzes Leben kennt, ist, dass man sofort weiß, wann es ernst wird, und das hier ist ernst, das hört er an ihrer Stimmlage, an der Entschlossenheit, die darin liegt, die aber eine Entschlossenheit ist, die erst einen inneren Widerstand überwinden musste und deshalb einen Hauch heftiger daherkommt als nötig, eine Nuance, die ein Fremder nicht bemerken würde, die aber jemandem, mit dem man schon vor vier Jahrzehnten unter einem Tisch gehockt hat, sofort ins Ohr springt.
    »Ich muss dir noch was sagen«, wiederholt sie, und jetzt muss sie Tränen unterdrücken, was ihn zutiefst beunruhigt und seine Erregung innerhalb von Sekunden abebben lässt, damit genug Platz ist, für ein neues Gefühlsgemisch aus Angst und Panik und Unbedingt-Wegwollen.
    Und dann sagt sie, dass in den letzten zehn Jahren sehr viel passiert sei, auch wenn es sich jetzt so anfühle, als hätten sie sich erst letzte Woche gesehen, aber so ein Leben stehe ja nicht still, das müsse sie ihm nicht sagen, er habeja sicher auch so seine größeren und kleineren Geschichten da unten in München, Geschichten, von denen er beizeiten auch mal erzählen solle, aber jetzt gelte es erst mal zu erzählen, dass sie vor sechs Jahren einen Mann kennengelernt habe, mit dem es eine Zeit lang sehr ernst gewesen sei, auch wenn es viel zu schnell gegangen sei, aber es sei eben auch niemand da gewesen, der ihr die Augen hätte öffnen können, womit sie aber nicht sagen wolle, dass sie Stefan die Schuld für das gebe, was dann passiert sei.
    Ich habe sie im Stich gelassen, denkt Stefan und spürt dann, dass sie das alles nur erzählt, um das, was sie sagen will, noch ein paar Sekunden vor sich herzuschieben.
    Also jedenfalls habe sie gedacht, das könnte es sein, vielleicht auch deshalb, weil sie in das Alter kam, wo man über bestimmte Dinge häufiger nachdenkt als über andere, und so sei es dann dazu gekommen, dass sie, nun ja, wieder schwanger geworden und diesmal alles gut gegangen sei, jedenfalls mit dem Kind, nicht aber mit dem Kindsvater, der, mal abgesehen davon, dass er auch viel zu jung, nämlich zehn Jahre jünger als Charlie gewesen sei, sich sofort als Arschloch herausgestellt habe und wieder dorthin zurückgegangen sei, wo er herkomme, also nicht gerade in das kleine Kaff im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, in dem er geboren wurde, aber schon nach New York, wo er wohl immer noch auf seinen Durchbruch als Musiker warte. Jedenfalls habe sie einen Sohn, und der sei jetzt fünf Jahre alt. Heute Abend sei er bei ihren Eltern, aber normalerweise lebe er natürlich bei ihr.
    »Das heißt, wenn du mich willst, kriegst du mich nicht alleine.«
    Da ist er also, der Haken. Und er bohrt sich rein, und zwar ziemlich tief. Stefan fühlt sich wie eine Schweinehälfte im Schlachthaus, an der ein Amateurboxer seine Schläge trainiert. Hier zu liegen fühlt sich nicht mehr richtig an. Er bleibt aber erst mal liegen, weil man ja jetzt auch nicht sofort aufspringen und abhauen kann. Aber wieso willst du denn überhaupt abhauen, fragt er sich und kommt zu dem Schluss, dass so ein Kind schon eine Tatsache ist, über die man nicht hinwegsehen kann, und was man sich damit einhandelt, ist gar nicht abzusehen. Karriere abbrechen, Beziehung beenden, sich mit der großen Liebe zusammentun, Kneipe eröffnen – das ist schon mehr als genug. Vater beziehungsweise Stiefvater werden, das ist dann doch ein bisschen happig. Wie viel zu viel ist, merkt man immer zu spät. Und da Stefan schon vor zehn Minuten nicht mehr wusste, was er sagen sollte, weiß er es jetzt erst recht nicht, und deshalb hat er wohl keine Wahl. Er steht auf und zieht sich an und geht raus und sieht nicht nach, ob sie weint oder was sie macht, sondern er geht den Weg hinunter, durch das

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