Sommerfest
schmiedeeiserne Tor, an den Lauben mit und ohne Erinnerung vorbei, am Sportplatz entlang, dann zur Straße und ganz lange geradeaus.
Hätte ihm das nicht irgendjemand mal sagen können? Frank Tenholt? Omma Luise? Hätte es nicht in der Zeitung stehen müssen?
Er braucht fast eine Stunde, bis er im Haus seiner Eltern ist. Er schleppt sich die Treppe hinauf, lässt sich ins Bett fallen und kommt gar nicht mehr dazu, sich darüber zu freuen, dass er endlich mal in einem Zustand ist, den er sich seit Jahren wünscht, nämlich jenem, in dem man wirklich absolut überhaupt nichts mehr denkt und endlich ganz leer und frei ist.
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15 Als er aufwacht, hat er einen schlechten Geschmack im Mund. Leichte Kopfschmerzen und Unwohlsein sowie ein allgemeines Gefühl der Mattigkeit bezeugen die Tatsache, dass er Alkoholkonsum nicht mehr so locker wegsteckt wie noch vor zwanzig Jahren. Am liebsten würde er sich umdrehen und weiterschlafen, aber das wird nicht hinhauen, das kennt er schon, wach ist wach, zumal es schon hell ist und die Blase um Entleerung fleht.
Er schwingt die Füße aus dem Bett, steht aber nicht gleich auf, bleibt auf der Bettkante sitzen und vergleicht das Gefühl, das er hat, mit dem von gestern Morgen. Es ist anders. Das Zimmer kommt ihm nicht mehr so klein vor, wirkt vertrauter, obwohl er sich hier seit gestern Morgen gar nicht aufgehalten hat. Er kann sich nicht daran erinnern, heuteNacht am Fußende angestoßen zu sein. Er stemmt sich hoch, ihm schwindelt kurz, und er tapert wieder rüber ins fensterlose Badezimmer und setzt sich auf die Schüssel, obwohl er auch im Stehen pinkeln könnte, aber dazu ist er jetzt zu schwach, mal abgesehen davon, dass ihm das Argument, im Sitzen zu pinkeln sei hygienischer, immer eingeleuchtet hat, ganz im Gegensatz zu irgendwelchen feministischen Begründungen.
Auch als er mit dem Wasserlassen fertig ist, sieht er zunächst keinen Grund, gleich aufzustehen, also bleibt er erst mal sitzen und versucht, die Träume der letzten Nacht wieder zusammenzusetzen, aber das ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Er kann sich nie an seine Träume erinnern. Anka hat alles jeden Morgen vor dem Auge wie einen Film, den sie selbst inszeniert hat, und kann es so detailliert nacherzählen, dass Stefan schon oft dachte: wieder ein Braten, dem ich nicht traue. Er selbst kann sich nur ganz selten an Einzelheiten erinnern, er erwacht nur mit dem dunklen Gefühl, wieder einen absolut wirren Bockmist zusammengeträumt zu haben.
Er steht auf und spült, wäscht sich die Hände und geht nach unten, setzt Kaffee auf, hockt sich aufs Sofa und schaltet den Fernseher ein. Da er einfach nur auf das Plus unter dem P auf der Fernbedienung gedrückt hat, weiß er jetzt, dass Onkel Hermann zuletzt ZDF gesehen hat. So etwas macht einen ja dann doch immer sehr wehmütig, ganz konkret zu wissen, was jemand gemacht hat, kurz bevor er gestorben ist.
Im ZDF läuft jetzt der Fernsehgarten mit dieser Moderatorin, die mal Schleichwerbung für Weight Watchers gemacht hat und ihren Job aufgeben musste, dann aber zurückkommen durfte, und der Fernsehgarten ist natürlichnichts, was man als halbwegs denkender Mensch unter sechzig auch nur zehn Sekunden gucken darf, aber Stefan ist gerade ganz matt und wund und gleichzeitig sehr offen für Blödsinn.
Nach einiger Zeit schafft er es schließlich doch, sich loszureißen, und schaltet weiter durch die Programme, findet mal wieder, dass der Sonntagmorgen das beste Argument ist, entweder ein Buch zu lesen oder sich ein Aufzeichnungsgerät anzuschaffen, das einen unabhängig vom aktuellen TV – Programm macht, und ehe er sich’s versieht, ist er einmal durch und in der ARD angekommen, wo gerade die Sendung mit der Maus anfängt. Er pfeift die bekannte Musik mit, und als der Vorspann wiederholt wird und die kommenden Attraktionen der Sendung in einer fremden Sprache aufgezählt werden, steigen ihm Tränen in die Augen, weil er daran denken muss, dass gerade jetzt vielleicht Charlie mit ihrem Sohn vor einem anderen Fernseher sitzt und dasselbe sieht, also schaltet er den Fernseher wieder aus und ärgert sich noch mal, dass ihn niemand von seinen sogenannten Freunden auf diese Geschichte vorbereitet, ihm nicht einmal einen Tipp gegeben hat, aber vielleicht hat er es auch einfach nicht hören wollen.
Zum Glück ist jetzt der Kaffee fertig.
Er nimmt eine der geblümten Tassen, die Onkel Hermann von Stefans Eltern übernommen hat, aus dem Schrank, obwohl er
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