Sommerflimmern (German Edition)
heiraten willst . Ich denke, dein Herz hat gestern für sich gesprochen. Für dich! Und deshalb hast du meiner Meinung nach genau das Richtige getan.«
»Aber wie kann es richtig sein, den eigenen Freund so zu verletzen?«
»Charlie, habt ihr je über so was wie Heiraten gesprochen?«
»Nein, nie.«
»Dann frage ich dich jetzt: Wie kann es richtig sein, dich vor deiner Familie und einem Haufen Partygäste so zu überrumpeln, dich so unter Druck zu setzen? – Wussten deine Eltern eigentlich davon?«
»Na ja, ich vermute, schon. Meine Mutter war vorher irgendwie merkwürdig – so sentimental.«
»Das auch noch!«
»Was meinst du?«
»Deine Eltern wussten wahrscheinlich davon und haben zugelassen, dass du in diese absurde Situation gerätst. Da waren sich ja alle ihrer Sache ganz schön sicher …«
Anna sieht richtig wütend aus. Plötzlich wendet sie den Blick ab. Ich drehe ihr Gesicht zu mir und sehe, dass ihr eine Träne über das Gesicht läuft.
»Anna? Was hast du?«, flüstere ich.
Sie wischt sich übers Gesicht und legt ihre Hände auf meine Schultern. »Ach, Charlie … das macht mich einfach so wütend … Du hast gerade dein Abi gemacht und zwar mit Bestnoten. Hast alle Erwartungen immer erfüllt. Auch die von Alexander. Reicht es nicht, dass du sogar den Sommer sausen lassen willst, weil du dich auf dein Studium vorbereiten möchtest? War es nicht die Idee deines Vaters, das Praktikum in London zu machen?«
»Ja.«
»Und hat nicht Alexander dir unentwegt eingebläut, dass man alle Zeit nutzen muss, um sein Studium bestmöglich zu –«
»Ja, aber er hat ja auch irgendwie recht …«
»Nein, hat er nicht. Es gibt verdammt noch mal mehr im Leben als eine beknackte Karriere!«
»Aber wenn ich nicht –«
»Nichts aber, Charlie! Wann willst du denn endlich mal machen, was du willst? Möchtest du dich nicht auch einfach mal fließen lassen und nicht wissen, was du am nächsten Tag tun wirst? – So was nennt man übrigens Ferien.«
Automatisch formuliert mein Kopf schon die Antwort. Doch es ist, als hätte mir jemand meinen Mund zugeklebt. Ich bringe nicht über die Lippen, dass ich immer getan habe, was ich wollte, und damit auch sehr glücklich bin. Stattdessen öffne ich langsam den Mund und herausschleicht, kaum hörbar: »Ja.«
Anna sieht mich irritiert an.
»Was meinst du mit ›Ja‹?«
Eine niederschmetternde Traurigkeit schlängelt sich ihren Weg durch meinen Magen in die Kehle und weiter in die Augen. Meine Stimme ist immer noch nicht mehr als ein Flüstern.
»Ja. Ja … ich glaube, ich würde gerne mal … fließen.«
Aber statt mir fließen nur meine Tränen. Es ist wie am Vorabend, wieder liege ich in Annas wiegenden Armen, wieder heule ich wie ein Schlosshund.
Das Klingeln des Telefons lässt uns beide aufschrecken.
Anna nimmt es vom Nachtisch, schaut auf das Display und reicht mir das Telefon herüber.
»Deine Nummer – zu Hause.«
Schnell trockne ich mir mein Gesicht mit dem Ramones -Logo meines Nachthemds ab und drücke auf die grüne Taste.
»Hallo?«
»Charlotte?«
Ich höre seine Stimme, meine Hand verkrampft sich um das Telefon, das sich knackend und knirschend darüber beschwert.
»Ja.«
»Hier ist dein Vater. Charlotte, wir müssen reden. Ich hole dich in einer halben Stunde ab. Brauchst du Kleidung? – Natürlich brauchst du Kleidung, ich bringe sie mit.«
Der Klang seiner Stimmer erinnert mich an das letzte Mal, als ich sein Gesicht gesehen habe. Er klingt eigentlich wie immer, doch da ist noch etwas Zusätzliches, eine Art Zittern, dass er offensichtlich zu kontrollieren versucht, indem er noch klarer und bestimmter spricht als sonst.
»Paps?«
»Ja?«
»Bist du sehr wütend auf mich?«
Einen viel zu langen Moment höre ich gar nichts.
»Ach, Charlotte, ich bin nicht wütend. Ich bin vielmehr …«, er atmet tief ein, bevor er fortfährt, »… enttäuscht.«
Als hätten meine Gefühle meinen Magen nicht schon genug malträtiert, spüre ich dort einen derben Stich.
»Aber, Paps –«
»Nein, Charlotte. Ich kann dir leider nichts anderes sagen. Ich verstehe nicht, was du da getan hast. Das war nicht meine Charlotte, die da einfach so davongerannt ist. Nein, wirklich, da hast du dir von deiner Freundin einen schönen Floh ins Ohr setzen lassen.«
»Wie bitte?«
»Na, so ein Verhalten passt ja wohl eindeutig eher zu ihr als zu dir. Ich kann mir gut vorstellen, was sie zu alldem gesagt hat –«
»Papa! Wieso sollte sie so etwas
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