Sommerflimmern (German Edition)
tun? Und vor allem wie? Sie wusste doch gar nicht, was Alexander geplant hatte! Und was noch viel schlimmer ist: Ich wusste nichts davon. Ich war vollkommen überrumpelt. – Was ist mit Mama und dir? Wusstet ihr davon?«
Der Stich in meinem Magen wird langsam aber sicher ersetzt durch einen tonnenschweren Klumpen Wut. So etwas habe ich noch nie gespürt. Um mich herum dreht sich alles.
»Ja, natürlich. Meinst du, wir lassen etwas so Wichtiges einfach geschehen? Immerhin hat Alexander Verantwortungsgefühl. Er hat uns in seine Pläne eingeweiht, sodass wir ihm bei den Vorbereitungen behilflich –«
»Ja, und was ist mit mir? Ich wusste von gar nichts! Ich …«
Meine Hände zittern, meine Wangen glühen. Ich bin mittlerweile aus dem Bett gesprungen und ziehe nervös meine Kreise in Annas Schlafzimmer. Wie eine Raubkatze in ihrem Käfig. Für einen Augenblick höre ich wieder das Rauschen, bekomme kaum Luft und zittere mittlerweile am ganzen Körper.
»Charlotte …«
»Nein, Papa! Jetzt hörst du mir zu! Verdammt!«
»Charlotte! Reiß dich …«
»Nein! Ich werde mich nicht zusammenreißen! Was glaubst du denn, wie es mir geht!? Meinst du etwa, es war mein Plan, Alexander zu verletzen?! Und überhaupt – was geht es dich überhaupt an!? Es geht hier um mein Leben! Um meines!«
»Charlotte, jetzt reicht es wirklich! Was es mich angeht? Was es mich angeht, wenn meine Tochter, mein einziges Kind, heiraten wird?«
Mir wird schwindelig, ich lasse mich in den Sessel fallen, der an einem der Fenster steht, stehe aber direkt wieder auf. Ich gehe zum Fenster und gucke durch einen der Schlitze zwischen den Vorhängen. Die Sonne strahlt auf die Straße, die überirdische U-Bahn rattert vorbei, vor dem Haus klingelt eine Tram ein paar Fußgänger von den Schienen. Eine unfassbar lange Schlange Wartender steht vor einem Imbisswagen unter den U-Bahn-Bögen und aus dem Café gegenüber eilt eine Frau mit einem Coffee-to-go Richtung Tram-Haltestelle. Ich würde gerne mal fließen.
Leise, aber deutlich sage ich es meinem Vater.
»Hast du eigentlich schon mal darüber nachgedacht, ob ich überhaupt heiraten will, Papa? Denn das will ich gar nicht. Vielleicht irgendwann mal, in was-weiß-ich wie vielen Jahren, aber ganz bestimmt nicht jetzt.«
»Charlotte, Kind, es hat doch so keinen Sinn. Ich hole dich jetzt ab und dann werden wir alles in Ruhe besprechen. Bis gleich.«
»Warte, Papa!«
»Was denn noch?«
»Du … du sollst nicht kommen. Ich weiß noch nicht, für wie lange, aber ich werde jetzt erst mal hier bei Anna bleiben.«
»Charlotte –«
»Bis bald. Ich melde mich.«
Rote Taste. Vorhänge auf. Sessel am Fenster. Sitzen. Atmen.
A nna hatte sich zurückgezogen, und als sie wieder in das Zimmer kommt, hockt sie sich auf die Lehne des mint-grünen Oma-Sessels, auf dem ich gerade sitze und atme.
»Und?«
»Das war der schlimmste, nein, sogar der erste richtige Streit, den ich mit meinem Vater je hatte. Es war furchtbar. Ich hoffe, du bist mir nicht böse, aber ich … ich habe gesagt, dass ich erst mal bei dir bleiben werde. Ist das … okay?«
Anna springt auf, sieht mich mit großen Augen an.
»Ob das okay ist? Verdammt, Charlie, das ist großartig!«
Jubelnd und lachend springt sie durchs Zimmer, und obwohl ich mich fühle, wie vom Lastwagen überfahren, muss auch ich laut lachen.
Sie gibt mir auf jede Wange einen dicken Kuss.
»Schätzchen, ich bin verdammt stolz auf dich! Die Katze wird den Wilderern entkommen!«
»Wie bitte?«
»Ach … nichts.«
Manchmal verstehe selbst ich Anna nicht.
D er Rest des Tages wird wunderbar. Ich weiß nicht, wie Anna es immer wieder schafft, mir ein Gefühl der Leichtigkeit und Ruhe zu geben, aber es gelingt ihr. Wir lachen Tränen, als ich Annas halben Kleiderschrank durchprobiere. Nicht nur, dass ihre Kleidung natürlich nichts mit dem zu tun hat, was ich sonst trage, sondern ihre Hosen sind mir alle zu kurz und die Schuhe zu klein.
Aber immerhin ist es ein warmer Sommertag und so trage ich letztendlich eine alte Jeans, die ich mir bis kurz unter die Knie hochkrempele, ein schlichtes schwarzes T-Shirt und meine Füße schlüpfen in ein Paar schwarze Espandrillos, die Anna mir noch schnell aus dem Eckladen besorgt hat. Als ich merke, dass die Hose doch eine Nummerzu groß für mich ist, reicht Anna mir eine Auswahl ihrer unauffälligsten Gürtel. Ich bin schon dabei, einen einfachen, schwarzen Ledergürtel durch die Schlaufen zu ziehen, da halte
Weitere Kostenlose Bücher