Sommerflimmern (German Edition)
immer wieder ein, um uns zu küssen, während Touristen und Familien mit Kindern an uns vorbeiziehen und ihren Ausflugszielen entgegenfiebern. Es ist Sonntag, die Cafés auf der sonnigen Seite der Straße sind bereits bis auf den letzten Platz mit Leuten belegt, die ihre übernächtigten Augen hinter großen Sonnenbrillen vom grellen Licht des Tages abschirmen.
Als wir die Brunnenstraße erreicht haben, bleibt Juan plötzlich stehen, löst sich von mir und starrt in den wolkenlosen Himmel.
»Was ist los?«
»Ich glaube … jetzt bin ich echt … nervös.« Er sieht mich betreten an. »Dabei haben die ja längst zugesagt, zwei Bilder hängen sogar schon und alles, aber … trotzdem. Ich muss mit denen die Konditionen für eine komplette Ausstellungverhandeln … und was, wenn sich keiner für die Bilder interessieren wird?«
»Juan, du hast mir zwar bisher nur Fotos der Bilder gezeigt, aber, ernsthaft, ich war wirklich ziemlich beeindruckt … Wäre ich ein Gebäude, würde ich auf jeden Fall von dir gemalt werden wollen!«
Juan lächelt mich an, streicht über mein Haar und gibt mir einen ausgiebigen Kuss auf den Mund.
»Das ist lieb von dir. Danke.«
Aber ich bin noch nicht fertig.
»Und was die Verhandlungen angeht … Wenn du dir nicht sicher bist, ob deren Angebot was taugt, sag denen einfach, dass du erst mal mit deinem Agenten sprechen musst. Der ist halt gerade nicht in der Stadt oder so was.«
»Hey, gute Idee! … Willst du nicht meine Agentin werden?«, lacht er und wir schlendern Hand in Hand weiter, bis wir vor dem unübersehbaren, aber schlichten 110 -Schild stehen.
Ich drücke Juans Hand. Er atmet tief ein und aus.
»Okay. Dann mal los.«
Gemeinsam betreten wir die Galerie, deren Größe plötzlich auch mich ein wenig einschüchtert. Der grobe Putz der Mauern ist weiß getüncht, nur in Höhe von etwa einem halben Meter zieht sich ein taubengrauer, nur wenige Zentimeter breiter Streifen über die Wände, parallel zu den Holzdielen auf dem Boden, die mit matt glänzendem schwarzem Lack gestrichen worden sind. Normalerweisewürde der Raum auf mich nicht besonders einladend, eher viel zu kühl wirken. Aber alle Farben, die man sich denken kann, strahlen umso intensiver aus den Bildern, die überall an den Wänden verteilt auf die Augen der Besucher warten. Juan geht Richtung Tresen, der sich, genauso weiß wie die Wände, in der vorderen rechten Ecke des Raumes befindet und hinter dem eine Frau und ein Mann stehen. Der Mann telefoniert gerade und hebt nebenbei zum Gruß seine freie Hand in unsere Richtung, während die Frau Juan lächelnd entgegenkommt. Ich will die beiden nicht stören, bleibe, wo ich bin. Plötzlich fällt mein Blick auf die linke Wand, wo ein einzelnes gigantisch großes Bild hängt. Ich gehe hinüber, um es mir näher anzusehen, die Farben, die kantigen Konturen des Motivs – der Ausschnitt eines fast abstrakt gemalten Stadthauses, vielleicht ein Hotel, dessen Läden geschlossen sind und das in einer Landschaft aus Farbflächen fast verloren dasteht. Mir fällt es wie Schuppen von den Augen. Ich kenne es. Ich habe es auf einem von Juans Fotos gesehen. Mir stockt der Atem. Ich hatte keine Ahnung, wie groß seine Bilder sind. Und wie wunderschön. Die Farben kenne ich von unserem ersten Treffen: Seine Unterarme waren mit ihren Sprenkeln übersät.
Ich drehe mich zu Juan und der Frau um, die gemeinsam hinter dem Tresen stehen und sich noch immer angeregt unterhalten. Also schlendere ich weiter und entdecke einen Durchgang. Ich gehe hindurch und gelange in zwei weitere Räume, eigentlich ein großer, der durch mehrereschmale Streifen aus Glasbausteinen in zwei unterteilt ist. Jeweils in der Mitte beider Räume stehen vereinzelt kleine Lederhocker. Auf zweien von ihnen sitzen Besucher, die sich scheinbar über ein Bild unterhalten, das ihnen gegenüber hängt. Ich sehe hinüber – und kenne es auch! Es ist das mit den rot-blauen Farbflächen, in denen man nur bei genauem Hinsehen die Konturen des Fernsehturms erkennen kann. Ich gehe ganz nah heran und sehe, dass Juan rechts unten in die Ecke eine kleines schwarzes ›J. Ruiz‹ geschrieben hat. Ich bin so aufgeregt, dass ich den beiden Fremden am liebsten auf der Stelle erzählen würde, dass der Maler gerade nebenan ist, nur ein paar Meter entfernt. Und dass ich in ihn verliebt bin. Rettungslos verliebt. Ich seufze lächelnd und gehe in den letzten Raum. Hier werden vor allem Zeichnungen ausgestellt. Ich ziehe
Weitere Kostenlose Bücher