Sommerfrische – Verbotene Kuesse im Mondschein
weidlich auf die Nerven gegangen. Da ist es nur recht und billig, dass ihr Onkel mich sehr gut honoriert hat.”
“Miss Lucy war nett, nicht wahr?”, erwiderte Sibella. “Oh, soeben fällt mir ein, dass Charles mir beim Mittagessen gesagt hat, ihr beide hättet euch gestritten. Kannst du dich nicht mit ihm vertragen?”
“Es tut mir leid, Sibella. Ich weiß, dass du ihn gernhast und es dich stört, wenn es Unfrieden gibt. Aber es ist mir zuwider, dass er für diesen anmaßenden, rücksichtslosen Mr. Ingram arbeitet.”
“Ach, so schlimm, wie du Mr. Ingram hinstellst, kann er nicht sein”, murmelte Sibella. “Gewiss, ich habe schreckliche Dinge über ihn gehört, nehme jedoch an, dass sie stark übertrieben sind. Und für Starbeck hat er dir doch einen guten Preis geboten.”
“Bitte, lass uns nicht darüber reden!”, äußerte Annis hastig. “Das würde meiner guten Stimmung schaden. Ich gedenke, diesen Nachmittag in aller Ruhe auszukosten.”
“Charles hat erwähnt, in Linforth habe es schon wieder Ärger gegeben”, fuhr Sibella unbeirrt fort. “Gestern Abend soll es dort zu einem Aufstand gekommen sein. Angeblich wurde eine von Mr. Ingrams Scheunen geplündert und dann in Brand gesteckt. Charles war wütend.”
“Ich kann die Dorfbewohner gut verstehen”, erwiderte Annis ruhig. “Schließlich werden sie ständig von Mr. Ingram provoziert. In der vergangenen Woche sollen auf seine Anweisung hin einige Leute aus ihren Häusern vertrieben worden sein, weil sie nicht im Stande waren, die von ihm verlangte höhere Miete zu zahlen.”
“Es heißt, der Anführer der Aufrührer sei ein Mann aus gutem Haus. Er soll sich gepflegt ausdrücken und einen Rotfuchs reiten. Mr. Ingram hat eine Belohnung dafür ausgesetzt, dass man ihm Informationen über diesen Mann liefert.”
Unvermittelt fiel Annis ein, dass Lord Ashwick einen Rotfuchs besaß.
“Ich habe den Verdacht, dass es sich bei dem Anführer um Sir Everard Doble handeln könnte oder vielleicht um Mr. Shepard. Auch Mr. Benson kommt in Frage. Jeder von ihnen reitet einen Rotfuchs.”
“Mr. Benson ist für Mr. Ingram tätig”, warf Annis ein.
“Ja, und daher nehme ich an, dass nicht er derjenige ist, der die Dörfler aufstachelt. Aber was ist mit Lord Ashwicks Bruder?”
“Er ist ein Mann der Kirche!”, äußerte Annis befremdet.
“Na und? Würde ihn das davon abhalten, die Leute aufzuwiegeln? Gleichviel, wer immer der Aufrührer ist, man wird ihn fassen. Dessen bin ich mir sicher. Jemand wird sich bestimmt die Belohnung von einhundert Pfund verdienen wollen.”
“Nur ein geldgieriger Verräter aus den eigenen Reihen würde ihn verraten”, entgegnete Annis. “Meiner Ansicht nach werden die Unzufriedenen sich schützend vor ihn stellen, weil sie ihn als zu ihnen gehörig betrachten.”
“Wie du meinst”, erwiderte Sibella gleichmütig und wechselte das Thema. “Findest du nicht, dass du wieder heiraten solltest?”, fragte sie träge. “Irgendwann wirst du bestimmt einen Mann kennenlernen, in den du dich verliebst, wer weiß, vielleicht schon in diesem Sommer hier in Harrogate.”
Versonnen dachte Annis daran, dass sie bereits jemanden kannte, der ihr sehr gefiel, auch wenn sie nicht gewillt war, ihm zuliebe ihre Unabhängigkeit aufzugeben. “Ach, hör auf, bei mir die Ehestifterin zu spielen”, sagte sie belustigt. “Ich bin mit meinem Leben auch so zufrieden.”
“Wirklich? Ich habe gehört, du würdest ständig in Lord Ashwicks Begleitung gesehen. Außerdem hat er im ‘Dragon’ mit dir getanzt. Magst du ihn?”
“Ja”, antwortete Annis ehrlich.
“Ich habe es gewusst!”, erwiderte Sibella triumphierend. “Wenn du schon zugibst, ihn zu mögen, dann musst du ihn sogar sehr gernhaben. Also heirate ihn!”
“Hör auf, Sibella!”, entgegnete Annis seufzend. “Ich will mich nicht mehr binden.”
“Johns wegen?”, fragte Sibella neugierig. “Nicht alle Männer haben ein so dominantes Wesen wie er. Ich bin sicher, dass du eine andere Meinung über die Ehe bekommst, wenn du dem Richtigen begegnest und Vertrauen zu ihm hast.”
Annis hielt es für unnötig, etwas darauf zu erwidern. Was Lord Ashwick anging, hatte sie der Versuchung widerstanden, ihren Vorsätzen untreu zu werden, und sich für ihre Freiheit entschieden. Insofern war es müßig, darüber nachzugrübeln, was geschehen wäre, hätte sie eine andere Entscheidung getroffen.
Sibella setzte sich auf, verließ den Zuber und hüllte sich in das
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