Sommerfrost - Die Arena-Thriller
Computer an. »Erinnerst du dich an den Namen der Zeitung?« Lyra dachte nach. Nein, sie erinnerte sich nicht. Sie war ja erst fünf gewesen, als es passierte, und kurz darauf war sie mit ihrer Mutter nach Spanien gezogen. »Wormser Echo?« Patrick hatte die offizielle Homepage der Stadt aufgerufen. Dort tauchte der Name auf. »Keine Ahnung.« Sie konnte sich wirklich nicht erinnern. »Die müssen damals etwas gebracht haben.« Er klickte auf das Icon der Zeitung und dann auf Archiv. »Wann war das?« »Am vierten Juli neunzehnhundertsiebenundneunzig.« Das Da tum hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt. Es war auf dem Kalender ihrer Mutter immer schwarz umkreist. »Wie ich befürchtet habe! Die haben nur die letzten fünf Jahre digitalisiert.« »Und was machen wir jetzt?« Patrick deutete auf einen Hinweis. Wenn man weitere Informa tionen benötigte, müsste man sich registrieren lassen und eine Anfrage schicken. Die Antwort wäre, je nach Umfang der Re cherchen, kostenpflichtig. Auf der nächsten Seite fragte man nach der Zahlungsweise und den Kreditkartendaten. Patrick stöhnte. »Ich hab noch eine Idee. Du willst doch wissen, wie deine Schwester jetzt aussieht, oder?« »Ja!« Aber eigentlich wusste sie es ja schon. Sie hatte gehört, dass Aborigines, die Ureinwohner Australiens, einen Verwand ten erkennen, auch wenn sie ihn noch niemals vorher gesehen haben. Genau so war es ihr auf dem Markt ergangen.
»Ich habe hier ein cooles Programm. Hast du ein Foto von dei ner Schwester und eines von deiner Mutter?« Patrick klappte schon den Scanner auf. »Von meiner Mutter, ja, und von mir auch.« »Keines von deiner Schwester?« Sie schüttelte den Kopf. »Meine Mutter hat alle weggeräumt.« »Dann musst du eins suchen! Und am besten auch eins von dei nem Vater.« Patrick hielt kurz inne. »Ist das okay für dich? Ich meine, willst du es wirklich wissen?« Tatsächlich hatte Lyra ein bisschen Angst davor. Wenn das Ge sicht genauso aussähe, wie das auf dem Markt, dann wäre Lean ders Geschichte wirklich wahr und ihre Mutter hätte sie all die Jahre angelogen – und Viola wäre am Leben . . . Doch dann schüttelte sie ihre Bedenken ab und traf eine Ent scheidung. »Ich komme so schnell ich kann wieder!«, versprach sie. Zu Hause durchsuchte sie zuerst die Kommode im Schlafzim mer ihrer Mutter. Irgendwo müssen doch Fotos sein! Mama kann doch nicht alles weggeworfen haben! Sie fand Wäsche, Strümpfe, Tischdecken, aber keine Fotos. Wohin hat Mama das Album gelegt, das sie neulich durchgeblättert hat? Lyra blickte sich um. Da war noch der Kleiderschrank. Sie zog die beiden Spiegeltüren auf. Der Geruch des Parfüms ihrer Mutter schlug ihr entgegen. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie hier im Zimmer. Wenn sie jetzt hereinkäme, wäre sie sicher ziemlich über rascht – und verärgert, Lyra vor ihrem Kleiderschrank zu fin den. Lyra lauschte, aber nein, da war niemand. Ihre Mutter saß um diese Uhrzeit immer im Büro oder war mit Kunden unter wegs, um Häuser und Wohnungen zu besichtigen. Lyra schob die Röcke, Blusen und Hosen auseinander, bückte sich und öff nete die Schachteln und Kartons auf dem Boden des Schranks. Schuhe, Taschen, Schals.
Da fiel ihr eine Schachtel auf, die anders aussah als die übrigen. Sie war mit dunkelrotem, seidenähnlichem Stoff bezogen. Lyra kniete sich und zog sie heraus. Ohne sie geöffnet zu haben, spürte sie, dass diese Schachtel ein Geheimnis bewahrte. Sie holte tief Luft und hob den Deckel. Ein Zittern überfiel sie, als sie das oberste Foto auf dem Stapel sah. Mama, Papa, Viola und Lyra. Wie klein ich damals war!, dachte sie. Drei oder vier Jahre alt. Viola hingegen sah richtig erwachsen aus, obwohl sie so ein unmodernes Kleid trug. Unter den Fotos fand sie ein Buch mit einem roten Einband. Verwun dert drehte es Lyra in der Hand. Es sah aus wie ein Tagebuch. Ihr Herz klopfte schneller. Sie schlug die erste Seite auf. Da stand in Schreibschrift: Viola Grammer. Es war tatsächlich das Tagebuch ihrer Schwester! Sie konnte es kaum glauben, dass ihre Mutter es all die Jahre in ihrem Schrank aufbewahrt hatte und Lyra nichts davon wusste! Sie legte drei Fotos und das Ta gebuch beiseite, schloss den Deckel der Schachtel, stellte sie zurück in den Schrank und machte die Türen zu. In ihrem Zimmer setzte sie sich an ihren Schreibtisch und legte das rote Buch vor sich. Es roch nach Staub und ein bisschen nach einem süßen Duft. Zimt vielleicht? Vorsichtig fuhr sie mit den Fingerspitzen
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