Sommergayflüster
geschotterten Weg zurück.
„Du mit deinem portable “, knurrte Alphonse.
Stephane erwiderte nichts, Dominics Stimme klang noch in seinen Ohren. Seine Hand glitt noch einmal in die Jackentasche und umfasste das kühle Gehäuse des Telefons. Währenddessen überholte er Schritt für Schritt die Schafherde, bis er an ihrer Spitze war und mit Alphonse seine Schützlinge anführte. Er spürte das Display, die kleinen Tasten, die im Dunkeln bunt leuchteten. Es war ein bereits älteres Modell, er konnte sich noch keines der neuen Smartphones leisten. Immerhin hielt er Kontakt mit der anderen Welt und hörte abends Musik. Nur noch einen Tag, dann würde er tun und lassen können, was er wollte. Er konnte ihn sehen, ihn umarmen und küssen und dieses Mal vielleicht auch …
„Lucille!“ rief Alphonse und pfiff einen der Hunde heran.
Stephane trottete voran, eingelullt vom Trappeln, Stampfen, Blöken, Hecheln, dem Klirren von Steinchen, Alphonses Stock, der im Takt knallte, vereinzeltem Vogelgezwitscher und dem flüchtigen Sirren von Flugzeugen, die offensichtlich nach Montpellier unterwegs waren. Er seufzte. Morgen war der Abschluss der Transhumance, die Sommerweide in den Cevennen war für dieses Jahr beendet. Die Herden wurden zu ihren Besitzern gebracht und abends gab es ein Fest im Dorf. Dort würde er ihn wiedersehen.
Am Abend streckte Stephane sich im Bett des Gästezimmers aus, zappte sich durch die Kanäle und genoss die Aussicht, morgen wieder im eigenen Zimmer schlafen zu können. Anstatt der Geräusche der wiederkäuenden Schafsmäuler hörte er nun Stimmengewirr, Musikbruchstücke, Wortfetzen; er sah die Darsteller einer Soap, einen Reporter in Nordafrika, einen Clip auf Viva. Werbung setzte ein. Verärgert stellte Stephane den Ton aus. Als die Frau auf dem Bildschirm ihre duftende und porentief reine Kleidung auf der Wäscheleine hängen hatte, fielen ihm fast die Augen zu. Das portable hielt er an sich gedrückt, Dominics lächelndes Gesicht leuchtete ihm entgegen. Es war ein Schnappschuss gewesen von der Party in der Garage eines Kumpels. Dort hatte er ihn zum ersten Mal gesehen und zack – plötzlich wusste er, dass er nicht allein war. Allein mit der quälenden Gewissheit, dass er sich nichts aus Mädchen machte. Allein mit der Angst, die anderen würden von seinem Geheimnis erfahren. Aber jetzt war alles gut – Dominic war da und würde auf ihn warten.
Das Frühstück hatte er ungeduldig zu sich genommen. Er konnte es kaum erwarten, vom Pass aus das Dorf zu sehen. Der Morgen war kühl, Nebelbänke hingen im Tal und verbargen die hintereinander gestaffelten Kämme der südlichen Cevennen, die sie bereits hinter sich gelassen hatten. Die Schafe trappelten, blökten, sie schissen und pinkelten, sie husteten, kauten und humpelten, sie knabberten am Wegesrand, kurzum – sie atmeten, lebten und existierten ungerührt vor sich hin.
Zwei nahezu schweigsame Stunden vergingen, doch Stephane beschäftigte sich immer wieder mit dem Traum der vergangenen Nacht. Ein feuchter Traum, wie er mit Schrecken festgestellt hatte, bevor er sich nach einem Taschentuch oder Putzlappen umgesehen hatte, um die Sauerei diskret zu beseitigen, damit die Pensionswirtin nichts im Laken entdecken konnte. Natürlich war das vergebene Mühe gewesen. Genauso hartnäckig wie der Fleck im Bett hielt sich das Gefühl, das diesen hervorgerufen hatte.
Alphonse rief ihn zur Pause und kommandierte die Hunde mit entsprechenden Befehlen. Stephane schob einige Schafe zur Seite, um Platz zu schaffen, und setzte sich zum Imbiss auf einen Baumstamm. Er legte den schweren Rucksack ab und kaute das letzte Stück Brot. Aufmerksam horchte er in sich hinein. Sein Unterleib kribbelte, sobald er an die Fetzen des Traums dachte. Dominics Augen kamen ihm in den Sinn, der Blick, den sie später bei einem Treffen gewechselt hatten. Es war, als hätte er in einen Spiegel gesehen – zuerst das Tasten und Zögern, dann blitzte aus Dominics Augen ein Funken Verständnis und Einvernehmen, sodass er die Gewissheit gespürt hatte, dass alles klar war zwischen ihnen.
Stephane zog die Weste aus. Ihm wurde warm, ob von der gestiegenen Sonne oder seinen Gedanken, konnte er nicht feststellen. Im Traum hatte er Dominics Körper berührt und warme Haut unter seinen Fingern gespürt, bis er auf die kitzelnde Schambehaarung in der Jeans gestoßen war. Dabei wusste er gar nicht, ob sich der Körper eines Jungen so anfühlte. Schließlich hatte er erst
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