Sommergayflüster
Wasser schluckte. Als sein Kopf auftauchte, hustete und prustete er wie verrückt. Er sah Stefan und dessen besorgtes Gesicht.
„Sag mal, spinnst du?“, rief dieser außer sich.
„Was denn?“, hüstelte Lars und hielt sich an Stefan fest.
„Wieso bleibst du denn so lange unter Wasser?“
Lars räusperte sich mehrmals, bevor er sich endlich beruhigte. „Ich bin doch bloß getaucht“, krächzte er, noch immer aus der Puste.
„Herrgott, ich habe mir Sorgen gemacht“, brummte Stefan anklagend.
„Es ist doch alles in Ordnung!“, erwiderte Lars genervt. Hastig schwamm er in Richtung Strand.
„Okay“, meinte Stefan schließlich mit einem Anflug von Reue. „Tut mir leid!“ Er kraulte Lars hinterher. An Land angekommen, eilte er hinter diesem durch den Sand zu den Handtüchern. Er trocknete sich wortlos ab und musterte Lars. Dessen Blick war weicher geworden und weniger gereizt. Er hatte wohl bemerkt, dass er Angst um ihn gehabt hatte. Stefan hörte auf, sich abzutrocknen, breitete sein Handtuch aus und setzte sich breitbeinig darauf. Er blickte zu Lars. „Dass du immer solche Sachen machen musst. Merkst du nicht, dass ich mir dann Sorgen um dich mache?“
Lars hielt kurz inne, bevor er sich langsam weiter trocken rubbelte. Seine Oberschenkel, die Waden, die Fesseln, die Zehen. Er fuhr missmutig hoch. „Du glaubst gar nicht, dass es dabei nicht um dich geht. Nein, es geht um mich! Ich will manchmal einfach für mich meinen Spaß haben.“
„Das ist okay“, meinte Stefan erregt. „Aber du gehst immer an die Grenzen und denkst dabei an keinen anderen. An niemanden, und schon gar nicht an mich.“ Er sah wütend zu ihm hoch.
So direkt schaute er ihn zum ersten Mal an. Lars senkte den Blick. Zögerlich setzte er sich und sah aufs Meer hinaus. Die Wolken hatten sich weiter geöffnet und ließen vermehrt Sonnenstrahlen hindurch.
„Ich kann dir auch nicht sagen, was momentan mit mir los ist“, sagte er leise, ohne Stefan dabei anzusehen. Er blickte auf seine Füße. Seine großen Zehen berührten sich und er spielte verlegen mit ihnen. „Ich weiß es einfach nicht – wohin ich gehen soll, was ich machen soll. Alles kommt mir gerade so entfernt vor.“
Stefan musterte Lars von der Seite. „Du kannst dir doch Zeit lassen, du bist doch noch jung.“
Lars lachte spöttisch. Er fühlte sich viel zu alt für alles. Dabei war er erst dreiundzwanzig Jahre. „Andere in meinem Alter wissen genau, wo sie hinwollen, wer sie sind und was sie können. Manchmal macht mich das total fertig.“ Er senkte den Kopf und brach unerwartet in Tränen aus.
Stefan starrte ihn überrascht an. So hatte er Lars noch nie gesehen. Reflexartig legte er den Arm um ihn. „Ach komm. Du hast doch noch alles vor dir.“ Er nahm dessen Kinn und drehte den Kopf zu sich. „Hörst du mich? Du hast noch alles vor dir.“
Lars sah ihn mit wässrigen Augen an. Es war ihm peinlich. Er war sonst immer der Starke. Oder doch nicht? Er weinte eigentlich nie vor anderen und fragte sich, ob er überhaupt schon einmal vor einem anderen Menschen geheult hatte. Er spürte Stefans warme Hand an seinem Kinn. Die Tränen liefen seine Wangen hinunter. Vorsichtig lehnte er sich an dessen Schulter.
„Und was ist, wenn ichs nicht finde? Wenn ichs nie finde?“, fragte er mit zittriger Stimme.
„Ach, du wirst schon noch deins finden. Glaub mir. Bei uns Homos dauert das sowieso alles ein bisschen länger“, erwiderte Stefan und lächelte. „Komm schon her.“
Sanft sanken sie zurück auf die Handtücher, und Stefan nahm Lars in den Arm. Noch immer etwas feucht vom Wasser, blickte er ihn friedlich an.
Lars drehte sich auf die Seite, eine Hand auf Stefans Brust. Er fühlte die sanfte Wärme der Luft auf seiner Haut und lauschte dem gemäßigten Tosen des Meeres und der Wellen. Er sah Stefan nun in einem neuen, ganz anderen Licht. Noch immer war er gebannt von den Gefühlen, die ihn übermannten. Er schaute in dessen blaue Augen, in das schöne männliche Gesicht.
Man sah es Stefan nicht sofort an, dass er schwul war. Beim Ausgehen war er immer von zahlreichen Frauen umschwärmt.
Etwas, das sogar Lars manchmal irritierte, war, dass er in solchen Momenten ein Konkurrent für Frauen zu sein schien. Aber er verstand es. Stefan hatte einen durchtrainierten Körper, war groß und selbstbewusst. Dessen breite Schultern brachten ihn regelmäßig um den Verstand, wenn sie sich liebten. Er wusste nicht, warum Stefan mit ihm zusammen sein wollte. Er
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