Sommergewitter
ich gucke gegen die Wand und schäm mich und er singt und schimpft ab und zu auf den verdammten Bach. Ja, und dann hab ich seine Hände auch schon vorne und er sagt: ›Huuuch, das wollt ich jetzt aber gar nicht‹, und ich denk, er ist der Junge, den ich liebe, und dabei ist er echt genauso doof drauf wie der Typ, der mich zu Hause immer angrabbelt!«
»Wen meinst du denn, verdammt noch mal?«
»Das ist doch egal!«, schrie Steffi und erzählte mit sich überschlagender Stimme weiter: »Jedenfalls sag ich da erst mal nichts drauf und Jonas zieht seine Hände ja auch weg und summt immer noch so rum, verlegen und zugleich so, als wär nichts gewesen. ›Jonas, gib mir mal das Shampoo!‹, sag ich und dreh mich nicht um, sondern greif nur danach und dreimal darfste raten, was ich da zu fassen krieg! Ich hab mich natürlich voll erschrocken, ich denk doch nicht, dass der gleich ’nen Ständer hat, jedenfalls sag ich dann ›sorry‹ und er kommt ganz nah und sagt: ›Wir brauchen uns eigentlich nicht immer entschuldigen, wenn wir uns berühren.‹ Und dann küsst er mich und er ist ja auch mein Jonas und ich hab mir immer vorgestellt, wie schön es wär, ihn zu küssen und zärtlich zu sein, aber ich, ich war da gar nicht drauf vorbereitet, ja, das war so überhaupt nicht schön, das war überhaupt nicht romantisch, das Wasser wurd immer kälter, der Fuß tat mir weh und ich hätt gern einfach ein bisschen mehr Zeit gehabt, für alles und so. Aber Jonas war nicht zu bremsen und ich musste mich ja an ihm festhalten und gleichzeitig konnte ich aber auchnichts sagen, weil mir völlig der Atem weggeblieben ist, als er mich gestreichelt hat.«
Ich räusperte mich. »Wolltest du das denn?«
Eine Weile kam keine Antwort, ich hörte nur das Geräusch des Regens auf dem Dach.
»Ja und nein. Ich hatte mir das schon lange gewünscht, mich aber nicht getraut, einen Schritt auf ihn zuzugehen. Das hat er bestimmt auch gespürt. Dass ich Schiss hatte, aus Rumkuscheln und Händchenhalten mehr zu machen. Er dachte bestimmt, es wäre das Beste, den Verstand auszuschalten und mit der Tür ins Haus zu fallen. Aber, ehrlich gesagt, so hatte ich mir das nun auch wieder nicht vorgestellt, dass wir gleich beim ersten Mal miteinander schlafen und dann im Stehen und unter der Dusche und ich nur so auf einem Bein, kannst du dir das vorstellen?«
Sie ließ ein klägliches Lachen hören und ich stimmte ein. »Nein, Steffi, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ich mir manchmal auch nicht«, sagte sie und seufzte. »Das ist komisch, manchmal denk ich, dass ich mich kaum noch daran erinnere, dass mein erstes Mal vielleicht gar nicht existiert hat und alles nur Einbildung war, und dann wieder erinnere ich mich an jede Einzelheit: seine muskulösen Hände, die ich so gut kenne, die Narbe am linken Zeigefinger, den silbernen Armreifen, den ich ihm zum Geburtstag geschenkt habe und den er an diesem Tag auch trug – all das seh ich wieder vor mir. Ich fand mich schön und ich liebte ihn und vertraute ihm und alles war gut und Jonas drückte seinen Körper gegen meinen und ich schloss die Augen und horchte auf seinen Herzschlag und seinen Atem und meinen Atem undmeinen Herzschlag, ich dachte, ich zerspring vor Aufregung, und dann spür ich schon seine Hand zwischen meinen Beinen und ich denk noch, das geht mir zu schnell, und gleichzeitig drücke ich mich näher an ihn und er klemmt mich ein zwischen sich und der Wand und schlingt mein Bein mit dem verletzten Fuß um seine Hüfte und er guckt mir tief in die Augen und fragt mich mit seinem Blick, und ich sag nicht Nein, wär mir da gar nicht eingefallen, und er dreht das warme Wasser ab und lächelt und küsst mich und drückt sich an mich und da, da, in dem Moment, in dem wir’s tun, ausgerechnet da höre ich durch das offene Badezimmerfenster Rüdigers Stimme und er sagt: ›Komm, Annika, wir gucken mal, was die so treiben, die beiden! Hoffentlich machen die keinen Schweinkram, wenn wir nicht dabei sind!‹ – Du hast gelacht. ›Unsere Steffi doch nicht!‹ – Und er wieder: ›Wer weiß, wer weiß, Gelegenheit macht Liebe!‹
Ich hab mich so erschrocken. Ich hab mich geschämt. Ich hab gemerkt, wie eisig es ohne das warme Wasser war. Ich hab an meine Schwestern gedacht, an meine Familie, den Typen, der mich angebaggert hat. Ich hab mich gefühlt wie verraten und verkauft. Ich hab gedacht, Jonas nutzt die Situation nur aus.
Er hat sich von euch kein bisschen irritieren lassen,
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