Sommergewitter
hier im falschen Film?« Rüdiger hörte plötzlich auf zu toben, er musste eingesehen haben, dass es zwecklos war. Er ließ die Arme sinken, verständnislos, enttäuscht. Kopfschüttelnd entfernte er sich ein paar Schritte, drehte sich dann wiederum und blickte zu uns herüber. Das Regenwasser lief nur so an ihm herunter, er sah einfach erbärmlich aus.
Ich wandte mich Steffi zu. »Wir können ihn nicht da stehen lassen. Das geht nicht. Ich mach ihm jetzt auf.«
»Aber bitte sei vorsichtig!«
Ich löste die Zentralverriegelung. Rüdiger rührte sich nicht. Erst als ich die hintere Wagentür aufstieß, kam er heran.
»Na, habt ihr mich endlich doch wiedererkannt?«, knurrte er und setzte sich auf die Rückbank.
»Wir sind ein bisschen durcheinander«, verteidigte ich uns.
Steffi sah demonstrativ aus dem Fenster.
»Wer ist das nicht?«, blaffte Rüdiger. »Dein Vater hat mich geschickt, Annika, ich soll euch Gesellschaft leisten, dafür sorgen, dass es euch gut geht.« Er verschränkte die Arme vor der Brust, taxierte uns mit Blicken.
»Danke«, sagte ich verlegen.
Dann sprachen wir kein Wort mehr, bis der Regen nachließ und der Polizeiwagen kam.
Freitag, 18.35 Uhr
Ich war froh, dass Jonas und mein Vater gleichzeitig mit den beiden Polizisten eintrafen. Weder Steffi noch ich wären zu so etwas wie einem sachlichen Bericht fähig gewesen und auch Rüdiger war nicht gerade gesprächig. Er begrüßte nur die Kollegin seines Bruders, die er wohl vom Sehen her kannte, mit einem Kopfnicken. So war es Jonas, der die ersten Fragen der Beamten beantwortete:was wir am See gemacht hatten, wie lange Ginie verschwunden war, wohin sie gewollt hatte, wer noch am See war und so weiter.
»Sie und Ihr Freund«, der ältere Polizist deutete schließlich auf Rüdiger, »waren also nicht dabei, als sie ging?«
»Doch, ich schon«, antwortete Jonas, »ich bin kurz darauf aber auch gegangen, allerdings in die andere Richtung. Ich wollte ja Rüdiger treffen und mit ihm Holz sammeln. Wir dachten, das Wetter würde sich halten. Als ich zurückkam, waren die Mädels völlig aufgeregt.«
»Zuerst kamen Sie und dann Rüdiger?«
»Ja. Rüdiger kam kurz nach mir. Die Mädchen haben gesucht. Und dann haben wir sie alle gesucht.«
Die junge Polizistin notierte sich die Angaben auf einem Block, wollte die Uhrzeiten wissen und wandte sich an mich. »Ist es möglich, dass Ihre Cousine jemanden treffen wollte?«
»Wer hätte das sein sollen? Sie kennt hier niemanden außer uns«, antwortete ich.
»Sie könnte sich verliebt haben und . . .«
»So schnell? Sie war ja gerade mal ein paar Stunden hier!«
Die Polizistin nickte. »Stimmt, das scheidet eigentlich schon deshalb aus. Und wie ist es . . . Sie haben sich nicht zufällig gestritten? Ich meine, könnte Ihre Cousine weggelaufen sein?«
»Nein, wir haben uns nicht gestritten. Es war alles in Ordnung.«
»Das stimmt«, bekräftigte Jonas, »wir hatten Spaß, wir haben uns wohlgefühlt, Ginie auch, davon bin ichüberzeugt. Gut, sie war erst ein bisschen schüchtern, kannte uns ja nicht und wollte nicht ins Wasser, aber nachher ist sie richtig aufgetaut!«
Die Polizistin notierte wieder etwas und tauschte einen Blick mit ihrem älteren Kollegen. Vielleicht waren sie sich noch nicht sicher, ob es tatsächlich nötig war, ein fast erwachsenes Mädchen zu suchen, das erst seit drei Stunden vermisst wurde.
»Herr Senkel, wissen Sie, ob Ihre Nichte irgendwelche Probleme hat? Ob sie sich Sorgen über irgendwas macht oder ob sie krank ist?«, erkundigte sie sich bei meinem Vater.
»Ich denke nicht . . . Wenn Sie einen Moment warten, mein Schwager müsste jeden Moment kommen, er ist völlig außer sich vor Sorge und noch im Wald.«
»Ja, mit dem müssen wir ohnehin so bald wie möglich sprechen.«
»Ihre Nichte kann aber schwimmen?«, fragte der Polizist meinen Vater.
»Ich weiß es nicht, ich hab sie nicht gefragt.«
»Das Baden ist hier nämlich nicht ohne Grund verboten. So harmlos, wie die Leute es immer hinstellen, sind diese Baggerseen nicht. Und wenn, mal angenommen, Ihre Nichte eine Nichtschwimmerin ist, die sich schämt, dies ihren neuen Freunden zu sagen, sich aber doch ein bisschen im vermeintlich seichten Wasser erfrischen will und nicht weiß, wie steil die Ufer sind . . .«
»Aber dann wär sie auch nicht ins Wasser gegangen! Und mein Schwager hätte sie auch gar nicht erst allein an den See gelassen, er . . .« Mein Vater suchte nach Worten, sah sich nach meinem
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