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Sommergewitter

Sommergewitter

Titel: Sommergewitter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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keinen Grund. Wir waren nett zu ihr! Es muss ihr etwas zugestoßen sein. Aber was? Eine Entführung? Nein, wir sind doch nicht reich. Ein Überfall vielleicht? Ich hatte schon ein ungutes Gefühl, als wir ankamen, diese Spanner mit ihren Ferngläsern, ich habe die ganze Zeit an sie gedacht, habe mich beobachtet gefühlt, als ob ich eine Gefahr geahnt hätte.«
    Steffi lutschte an ihrer Haarsträhne. »Was meinst du, wo Rüdiger so lange war?«
    »Bitte, fang nicht wieder damit an«, sagte ich matt. Steffis Vorbehalte gegen Rüdiger waren mir unangenehm, ich wollte nichts davon hören.
    »Ist es dir peinlich, was ich dir alles erzählt habe?«
    »Was? Nein. Quatsch.«
    »Ist es wohl. Ich seh’s dir an. Du denkst, ich hätte meinen Schweinkram, meine Probleme und meine Paranoia für mich behalten sollen.«
    »Aber nein.« Ich hatte einfach noch keine Zeit gehabt, darüber nachzudenken, es überhaupt zu kapieren.
    »Doch!« Steffi stand verärgert auf, gestikulierte. »Doch, das ist es! Aber das ist mir jetzt auch egal! Mensch, Annika! Da draußen am See war’n lauter Perverse und jetzt ist deine Cousine weg. Ich hab Angst um sie! Ich bin durcheinander!«
    »Ja, das verstehe ich doch.« Ich senkte den Kopf, verschlang die Finger ineinander.
    »Wahrscheinlich ist Ginie wer weiß was passiert und uns hätte es auch passieren können!«
    »Was glaubst du denn, woran ich die ganze Zeit denke.«
    »Da kann ich ja wohl durcheinander sein!« Steffi schrie fast.
    »Natürlich, ich sag doch gar nichts. Du bist plötzlich so aggressiv.«
    Meine Mutter kam zurück, blass und mit einem nassen Tuch im Nacken. »Gibt’s was Neues?«, fragte sie.
    »Nein«, antworteten wir gleichzeitig.
    Steffi setzte sich wieder. Meine Mutter ging in die Küche, nahm eine Tablette, kochte Kaffee. Ich hörte die vertrauten Geräusche, betrachtete die vertrauten Dingeim Wohnzimmer, das Aquarium mit den Fischen, die Fotos an der Wand, die bunten Buchrücken. Hier war ich zu Hause. Ich hätte es am liebsten laut gesagt.
    »Ich bin gar nicht aggressiv«, sagte Steffi auf einmal. »Ich bin wütend auf
mich,
weil ich dir Sachen erzählt habe, die ich dir gar nicht erzählen wollte. Das ist alles.«
    »Aber Rüdiger hast du davon erzählt«, konterte ich. Das war fies von mir, natürlich, aber ich war auch nur ein Mensch und mir wuchs das Ganze über den Kopf: Die ungehaltene Steffi, der ungeschickte Jonas, der unheimliche Rüdiger, der unbekannte Grabscher, der unbeholfene Vater, der durchdrehende Onkel, die nasenblutende Mutter   – das waren einfach nicht mehr die Menschen, die ich kannte!
    »Ja, das hab ich, und das war in jeder Hinsicht ein Fehler«, sagte Steffi bitter und so laut, dass meine Mutter es hörte und mit einem neugierigen Gesichtsausdruck wieder hereinkam.
    »Nein, Mama, es gibt nichts Neues«, sagte ich vorsorglich. Ich wollte um jeden Preis vermeiden, dass Steffi ihr auch von ihrem Misstrauen gegenüber Rüdiger erzählte. »Steffi meinte nur, wir hätten wirklich lieber Eis essen gehen sollen, wie Paul es vorgeschlagen hat.«
    Meine Mutter seufzte, sie hielt einen Moment inne, als wollte sie etwas Wichtiges sagen, sah mich mit feuchten Augen an.
    »Mama?«, fragte ich. »Was ist?«
    »Nichts.« Sie deutete kurz ein Kopfschütteln an, entspannte sich. »Es geht mir wieder besser. Guckt mal«, sie zeigte zum Fenster, »es klart auf. Das Gewitter ist vorbei. Vielleicht hat Ginie sich ja doch nur irgendwountergestellt. Ich werde mit meinem Auto die Landstraße abfahren. Irgendetwas muss ich ja tun. Ihr bleibt hier, als Telefonposten sozusagen.«
    »Muss das sein?« Das bedeutete doch für uns, dass wir schon wieder warten mussten. Ich war es langsam leid.
    Wir tranken den Kaffee, schwiegen uns verlegen an. Keine von uns traute sich wieder mit einem Gespräch anzufangen. Ich sah alle fünf Minuten auf die Uhr. Irgendwann riefen wir Alexa auf dem Handy an, nur um zu erfahren, dass ihr am See nichts Außergewöhnliches aufgefallen sei und sie Ginie natürlich nicht gesehen habe. Sie wollte aber so bald wie möglich zu uns kommen.
    Weiter warten. Hoffen, dass das Telefon klingelte, die Türglocke. Die Zeit verging unendlich langsam.

Freitag, 20   Uhr
    »Wir haben wirklich alles abgesucht. Nichts.« Jonas kämmte sich mit den Händen die nassen Haare nach hinten.
    »Tut mir leid, Annika«, sagte Rüdiger, der hinter Jonas im Türrahmen stand und sich seine dreckigen Schuhe auszog. »Ich hoffe, es stört euch nicht, wenn wir

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