Sommergewitter
Onkel um, rief seinen Namen.»Wissen Sie, hier ist schon mal jemand ertrunken . . .«, stammelte er und sah auf einmal so fertig aus, dass ich dachte, er bekäme einen Herzanfall. Ängstlich lief ich zu ihm hin und drückte mich an ihn. Ich merkte, dass er noch etwas sagen wollte, aber viel zu aufgeregt war.
»Beruhigen Sie sich, Herr Senkel, ich glaube nicht, dass Ginie ertrunken ist!« Rüdiger kam mir zu Hilfe. »Das kann ich mir nicht vorstellen, es waren ja genügend Leute am Ufer, die ihr geholfen hätten, wenn sie in Not geraten wäre. Jonas hat sie außerdem lang und breit über Badeunfälle an Baggerseen aufgeklärt!«
»Die ist ganz sicher nicht schwimmen gegangen«, meldete sich auch Steffi aus dem Inneren des Autos, »die hat sich doch extra angezogen. Außerdem wollte sie sowieso nicht baden, vielleicht war sie wasserscheu oder wollte nicht, dass ihre Frisur nass wird, jedenfalls . . .«
»Du brauchst noch nicht in der Vergangenheit von ihr zu sprechen«, unterbrach Rüdiger sie.
»Ich spreche so, wie ich will!«, rief Steffi. »Was weißt du denn schon, hä? Du bist ja kein Mädchen, du brauchst ja hier keine Angst zu haben. Dich stören die Spanner ja nicht, im Gegenteil! Und du warst ja die meiste Zeit selbst nicht da, warst wohl wieder Indianer auf der Jagd oder was hast du so lange gemacht?«
»Ich habe meinen Bogen heute gar nicht dabei.«
»Aber dein Messer! Ohne das gehst du doch gar nicht aus dem Haus!«
»Hey, hey!« Jonas wollte beschwichtigend dazwischengehen, aber Rüdiger fuhr ihnen beiden über den Mund: »Steffi, halt die Klappe, du gehst mir auf die Nerven!«
Steffi verstummte, so deutlich hatte Rüdiger noch nie seine Meinung gesagt. Ich war immer der Ansicht gewesen, er könne überhaupt nicht wütend werden, und auch Jonas blickte irritiert, schüttelte den Kopf und sagte: »Leute, bitte jetzt nicht durchdrehen. Wir müssen Ginie suchen, nur darum geht’s!«
»Das ist richtig. Was haben Sie übrigens so lange allein im Wald gemacht?«, fragte der Polizist Rüdiger. »Haben Sie das Mädchen gesehen?«
»Nein«, antwortete er. »Ich habe Holz gesammelt.«
Die Polizistin holte eine Landkarte und einen Stift aus dem Wagen. »Wo genau haben Sie das Holz gesammelt?«
Rüdiger kreiste ein Gebiet ein und markierte unseren Badeplatz.
»Ginie ist wahrscheinlich hier rübergegangen«, sagte Jonas und deutete auf das Waldstück, das von der Landstraße begrenzt wurde und durch das der Trampelpfad führte, den die meisten Badegäste nahmen. »Sie kann hier eigentlich nicht verschwunden sein, ohne dass jemand etwas gesehen hat«, sagte er. »Obwohl da natürlich die Straße ist, aber . . .«
»Und wo haben Sie Holz gesammelt?«, fragte der Polizist Jonas. Der deutete auf den gleichen Bereich, den Rüdiger eingekreist hatte.
»Aber Ihren Freund Rüdiger haben Sie dort nicht getroffen, oder?«
Jonas sah kurz Rüdiger an, zögerte und sagte dann: »Nein, wir haben uns nicht getroffen.«
Der Polizist hatte genau wie Steffi und ich den Blick bemerkt. Er grübelte einen Moment, nickte dann undließ seine Kollegin reden: »Tjaa«, sagte die, »wir müssen also von allen Möglichkeiten ausgehen. Vielleicht wollte das Mädchen nur zu den Senkels nach Hause, meinetwegen um sich umzuziehen oder weil sie einfach keine Lust mehr hatte. Bei Mädchen in dem Alter weiß man nie. Dabei könnte sie die Entfernung falsch eingeschätzt und sich verlaufen haben. Oder das Gewitter hat sie überrascht und sie hat sich einfach irgendwo untergestellt. Es kann ganz harmlose Erklärungen geben.«
»Allerdings!«, fiel Rüdiger ihr ins Wort. »Ihr war vorher schon einmal schlecht geworden. Vielleicht fühlte sie sich einfach nicht wohl und . . .«
»Ja, zum Beispiel.« Die Polizistin griff Rüdigers Einwurf gern auf. »Herr Senkel, Ihre Frau ruft Sie doch sofort an, falls sie auftaucht?«
Mein Vater nickte, die Arme fest um mich geschlungen.
»Sie kann natürlich auch zur Landstraße gegangen sein, um von dort nach Hause oder sonst wohin zu trampen. Das können wir auch nicht ausschließen . . . Sie sagten, Ihre Nichte sei heute den ersten Tag hier. Vielleicht hat sie in ihrem früheren Wohnort einen Freund, zu dem sie zurückwill?«
Mein Vater schüttelte den Kopf. »Selbst wenn – sie fahren doch am Sonntag sowieso wieder zurück. Der Umzug ist erst in drei Wochen.«
»Verstehen Sie denn nicht«, meldete sich Steffi jetzt aus dem Auto, »sie wollte nicht zu den Senkels oder sonst wohin, sie
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