Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
teilweise handelte es sich bei den Namen, mit denen wir Zimmer und Bereiche des Geländes versahen, um verbale Heftpflaster, mit denen psychologische Wunden verarztet wurden. Ein Beispiel: In einem Zimmer zu nächtigen, wo der Putz von der Decke bröselt, ist unerquicklich. Demgegenüber klingt es nach großem Kino, eine Nacht im »Splatterzimmer« zu verbringen. Auf jeden Fall vergingen keine zwei oder drei Tage in Berlin, und das Gras auf der anderen Seite war für Olli und mich schon wieder deutlich grüner. Fuhren wir dann gegen Ende der Woche hin, stellten wir fest, dass es wirklich grüner war, dass es aber dringend auch mal wieder gemäht werden musste. Was mit dem Allesmäher aus Rheinhessen bekanntlich eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Aktion war.
Manchmal schlug die Stimmung schon auf der Gartenbank wieder in Wohlwollen um.
In einem Anfall von Verständnis ließ ich mich von Theorierakete Olli in den soziologischen Orbit schießen, von wo aus wir die Sache dann freischwebend aus der Metaperspektive betrachteten: Die Widrigkeiten des Maltriner Lebens verantwortete demnach niemand persönlich, sondern sie waren dem hohen Grundrauschen geschuldet, das mit steigender Gruppengröße einherging. Wo Gruppendynamik, da Reibung. Wo Reibung, da Reibungsverluste. Die üblichen Kollateralschäden eben, wie Olli und ich großmütig befanden.
»Eigentlich ist das hier alles eine soziallogistische Meisterleistung«, resümierte Olli einmal.
Hatten wir in einem Augenblick noch Gift und Galle gespuckt und uns an allen möglichen Härten des Maltriner Lebens ergötzt, wendeten wir unseren Blick im nächsten Moment von den unbekannten Waschmittel- und Kettenöl-Falschabstellern ab und betrachteten den Mitbewohner wieder als liebenswertes Individuum – dessen Schrullen und Marotten aber auch zu schön waren.
So etwa Andine, die nicht nur mit ihrem Fön im Bett viel heiße Luft machte, sondern mit ihren gelegentlichen Gefühlsausbrüchen die Uckermark für Momente in eine gefühlt vulkanische Gegend verwandeln konnte. Mette, die alle Schränke und Regale beschriftete und den ungewinnbaren Kampf kämpfte, eine schwedische Ordnung zu etablieren, an die sich hier jemand halten würde. Niels, der bei der Plenumsvorbereitung per E-Mail fleißig bei der Sache war, während des Plenums selbst aber aus heiterem Himmel Zeitung las oder mit Facebookfreunden chattete. Und der nie aufgab, uns zu noch moderneren Formen der Organisation unserer Kommunikation über irgendwelche Doodle-Kalender, Piratepads, Zoho Docs zu animieren, was nie klappte, weil der E-Mail-Konservativismus der Mehrheit nicht aufzuknacken war. Jana, die im Badezimmer eine schier unendliche Morgenmesse zelebrierte. Elke und Jörg, die Kallis volle Windeln als kleine runde Pakete überall auf dem Gelände vergaßen, sodass Konrad eines Abends mehrere unter seinem Kopfkissen fand.
Steve, der nicht eben durch herausragende Kochkünste auffiel, dieses Defizit aber mit großer Inszenierung zu überspielen verstand. Wie oft ließen Olli und ich jenen unvergesslichen Abend Revue passieren, an dem Olli die Gruppe zunächst mit einem vortrefflichen Coq au Vin bekocht hat, was vom Kollektiv aus alter Gewohnheit fast schon wie eine Selbstverständlichkeit zur Kenntnis genommen wurde. Steve hingegen hatte am selben Abend, aber zu fortgerückter Stunde, für eine erpfuschte Dessertkreation ganz großen Beifall eingeheimst. Mit einem Riesentamtam wie beim Captains-Dinner auf dem Traumschiff kredenzte er jedem von uns einen Teller mit ein paar Stückchen Schokolade, einigen Rosinen, ein paar Smarties und einem Löffel Nutella auf einem Brocken Uralt-Knäckebrot. Er fuhr alles auf, was der Kühlschrank noch so hergab – und wurde dafür frenetisch gefeiert: »Abgefahren, Steve!« »Der Hammer, Steve!« »Du bist unser Küchengott, Steve.« Während Steve mit Lob überzogen wurde, hatten Olli und sein Coq ausgekräht.
Es kennzeichnete dieses Teilzeitzusammenleben als parafamiliäres Gebilde, dass man die Schrullen der anderen zwar immer besser, immer genauer kannte, man aber, weil man sie mit ihren Vorzügen abzuwägen wusste, letztlich stets versöhnlich gestimmt war. Von wenigen echten Zwistigkeiten abgesehen wurde unser Sommerhausprojekt zu einem Lustspiel, bei dem die Rollen klar verteilt waren. Steve etwa, der das Kochen wie die Hausarbeit im Allgemeinen nicht erfunden hatte, war dafür meisterlich darin, alle anderen gelegentlich auch mal von ihrem Haushaltsstress zu befreien.
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