Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
schilfumsäumten Sees mit Holzkirchturm und goldenem Hahn auf der Spitze dahinter eingefangen hätte. Nein, der offizielle Maltrinkalender präsentierte in zwölf Variationen Maltrin Downtown: ein Dorf, das im Wesentlichen aus einer einzigen Straße bestand und das so tat, als ob ein Gewässer namens Maltriner See gar nicht existierte. Das Februarblatt etwa zeigte die Dorfstraße im Schneematsch mit den Altglascontainern zur Linken und einem der kleinen Plattenbauten im Hintergrund. Die Bildunterzeile war praktisch nur als Durchhalteparole zu verstehen: »Der Frühling naht.« Doch jegliche Hoffnung auf ein schönes Frühlingserwachen erstickte das Blatt des Wonnemonats Mai im Keime: Es zeigte ebenfalls die Dorfstraße, nur eben an einer anderen Stelle. Zu sehen war ein regionaltypisches Doppelhaus, dessen eine Seite gelb, die andere DDR -grau war, aber beide Seiten jeweils mit großer Satellitenschüssel ausgestattet. Die Unterzeile war ein stummer Schrei nach Sinn: »Dorfstraße im Mai« lautete sie. Beinahe machte es den Anschein, als hätte der Herausgeber des Kalenders auf die lässige Beiläufigkeit geschielt, mit der die neue deutsche Magazinfotografie seit einigen Jahren daherkam. Da aber eher anzunehmen war, dass mit dem Maltrinkalender dem Kitsch der Apothekenkalender nachgeeifert wurde, musste das Ergebnis umso mehr erstaunen – und besonders die Abwesenheit des Sees im Kalender war unerklärlich, ja, schien grob fahrlässig.
Wenn ich bislang überhaupt irgendeine Erkenntnis über dieses Dorf gewonnen hatte, dann die, dass die Maltriner ein gestörtes Verhältnis zu ihrem See hatten. Es war nicht nur keine Spur von dem See im Maltrinkalender, es war auch kaum eine Spur von den Maltrinern am See, außer dann und wann mal ein Angler auf unserem Steg oder ein paar spielende Kinder an der Dorfbadestelle. Womöglich ließen die Maltriner ihren schönen See links liegen, weil ihnen ihr Dorf demgegenüber umso durchschnittlicher vorkam. Vielleicht hatten sie aber auch einfach zu viel zu tun, zum Beispiel in Arbeitskitteln den Gehweg zu fegen und auf den Besen gestützt misstrauisch auswärtigen Autos hinterherzuschauen. Danach verschwanden sie meist direkt wieder in ihren Haustüren, und das einzige zu empfangende Lebenszeichen, das blieb, war das Kreischen ihrer Sägen hinter den Häusern oder das Flackern der Fernseher bei Dunkelheit. Vielleicht bot meine Einladungsrunde Gelegenheit, unsere Nachbarn besser kennenzulernen.
Am Tag, als ich zu meiner Mission aufbrechen wollte, kam es mir auf dem Weidenhof besonders heimelig vor. Steve lag noch im Bett. Niels saß vor dem Badezimmer und vertrieb sich die Wartezeit mit einer Tasse Kaffee und seinem Smartphone. Mette, Jana und Andine klapperten und schnatterten in der Küche herum. Elke schimpfte im Badezimmer mit dem kleinen Kalli. Simone brüllte durchs ganze Haus, wo denn der Fön schon wieder sei. Olli hatte gerade die Morgenzigarette auf dem Boden vor der Gartenbank ausgedrückt und machte sich daran, seine nach Wasser lechzenden Weinpflänzchen unter dem Scheunenvordach zu gießen, wobei er allen Ernstes das Lied »I never promised you a rose garden« summte. Konrad empfing irgendwelche Handwerker und führte sie in die Scheune. Die Feuerstelle qualmte noch vor sich hin, und das gefledderte Feuilleton einer Wochenzeitung wurde vom Sommerwind über den Rasen getragen. Andine transportierte mit einem großen Tablett Grillsoßen, leere Weinflaschen und benutzte Teller, die vom Vorabend noch auf dem Gartentisch herumstanden, zurück in die Küche und befüllte die Spülmaschine. Deren Ein- und Ausräumen war eindeutig der Herzschlag unseres Landhausorganismus. Mich zog es noch nicht wirklich hinaus zu meiner Mission, und so begann ich wieder einmal, den Wildwuchs an Jacken, Schuhen, Taschen, Windelpackungen, Werkzeugen und Kinderspielzeugen ein wenig zu ordnen, der sich stets innerhalb von Minuten nach unserem Eintreffen im Flur bildete. Daran konnte auch Doreen nichts ändern, unsere neue Putzfrau, die den Weidenhof jeden Dienstag wieder in den Urzustand zurückversetzte. Oscar und Noah hingen wie Kletten an mir und belatscherten mich, mit ihnen Trampolin zu springen, zu baden und Dinoknochen auszubuddeln – am besten alles gleichzeitig. Schließlich kam Fabian aus dem Bad.
»Na, wann machst du deine Runde durchs Dorf?«
Es war mir vor mir selbst peinlich, aber als ich den Klingelknopf der Familie Heinchen drückte, merkte ich, wie mein Herz plötzlich
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