Sommerhaus jetzt! - 13 Freunde und der Traum vom Wochenende im Grünen
eine Verdauungszigarette brauchte. Die Riomaus, wie Olli die Frau aus São Paolo in seiner späteren Anekdotenroutine stur nannte, saß auf dem Treppenabsatz des Gasthofs und weinte. Schlussendlich war nicht auszumachen, was für die Brasilianerin irritierender war, die Ereignisse im Gasthof oder der Versuch dieses blonden Hünen, ihr auf seinem Pidginenglisch zu verklickern, dass nicht ganz Deutschland so schlimm sei.
Erzählenswert waren Vorfälle wie diese nicht nur wegen ihres Unterhaltungswerts, sondern sie dienten auch unserer Selbstvergewisserung, wie strapazierfähig unsere Gastfreundschaft doch war. Wer Besuch anschleppen wollte, musste streng genommen nur eine Regel beachten: Gäste vorher kurz per E-Mail ankündigen. Denn in jenem kleinen Anfall von Regulierungswut, den die Gruppe durchlebt hatte, nachdem die Grenzen der Schwarmintelligenz einige Monate nach dem Einzug sichtbar geworden waren, hatten wir auch die folgende Regelung getroffen: Mit Vorlauf von einer Woche sollten die Mitbewohner künftig sogar ihr Veto gegen Gäste einlegen können, falls sie mal ein ruhiges Wochenende brauchten. Es war dies ein kleines Zugeständnis zugunsten besserer Planbarkeit, das unsere Open-House-Politik im Grundsatz aber nie infrage stellen sollte. Entsprechend routinemäßig lasen sich die Gästeanmeldungen im E-Mail-Verteiler. Nur dass sie sich nach dem Hoffest ein wenig häuften.
Absender: Elke Schönberger.
Uhrzeit: 11:16.
Betreff: Besuch
Wertes Kollektiv,
Jörg und ich haben ein paar Leute aus der Kita eingeladen. Wir gehen davon aus, dass die meisten von Euch sowieso auf der Müßiggang-Revivalparty in Berlin sind, ansonsten seid Ihr natürlich herzlich willkommen. Es werden halt einige Kinder am Start sein – und sehr nette Erwachsene.
Liebe Grüße, Elke.
Absender: Ylva Nydal.
Uhrzeit: 14:04.
Betreff: Re: Besuch
Wie viele Leute, wie viele Kinder? Ich wollte eventuell rauskommen und auch mal zwei Freundinnen mitbringen.
Absender: Ylva Nydal.
Uhrzeit: 14:18.
Betreff: Re: Re: Besuch
Sorry. Aber das Gästethema – vor allem auch die Frage, wie viele besuchende Kinder verkraften das Haus und die Mitbewohner – muss noch mal besprochen werden. So wie ich es mitbekommen habe, bin ich nicht die Einzige, die genervt ist. Und Sätze wie: »Ansonsten seid Ihr natürlich herzlich willkommen«, finde ich super – ich brauche keine Einladung, um in ein Haus zu fahren, wo ich Miteigentümerin bin.
Absender: Elke Schönberger.
Uhrzeit: 15:51.
Betreff: Re: Re: Re: Besuch
Liebe Ylva,
Andine rief mich an und erzählte, wie aufgebracht Du bist. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich sagen soll. Letztes Wochenende warst Du alleine mit einer Freundin draußen. Aus Rücksicht auf Euch sind wir am Samstag nicht rausgekommen, damit Ihr Eure Ruhe habt. Und Du hattest Dich ja auch schon für das erste Oktoberwochenende mit zwei Freundinnen angekündigt. Es war für mich nicht abzusehen, dass sich Deine Pläne geändert haben und Ihr nächstes Wochenende kommen wollt. Meine »Einladung« wollte ich so verstanden wissen, dass sich niemand vom Kollektiv ausgeladen fühlt, nur weil wir mit ein paar Freunden da sind. Ich habe das Gefühl, Du willst mich einfach missverstehen.
Das Besucherthema wurde mehrfach besprochen und mehrheitlich abgestimmt mit dem Kompromiss, dass wir ein offenes Haus sind, aber dass ruhige Wochenenden eingefordert werden können. Davon hast Du, Ylva, bisher nie Gebrauch gemacht. Vielleicht deshalb, weil es ein unangenehmes Gefühl ist, das zu tun. Ich habe da keinen Redebedarf mehr. – Wir werden übrigens voraussichtlich vier Zimmer belegen. Es bleiben also noch genug übrig.
Elke.
Absender: Oliver Geyer.
Uhrzeit: 18:06.
Betreff: Re: Re: Re: Re: Besuch
Also ich kann Ylva durchaus verstehen. Ich finde zwar auch, dass wir alle auch mal spontan drauflos einladen können sollen und die Sache nicht zu bürokratisch werden darf. Aber wenn ich vorhätte, mit mehreren Leuten aus der Kita + Kindern anzureisen, Elke, dann wäre es für mich schon selbstverständlich, das mit dem Vorher-Abklären etwas genauer zu nehmen. Da gibt es einen nachvollziehbaren Unterschied, ob man hin und wieder mal einen Kumpel mitbringt oder ob es auf einen Schlag mehrere Paare mit Kindern sind. Da geht es doch auch um Feingefühl.
Regeln sind schön und gut. Aber zu einer funktionierenden Gruppe gehört für mich auch, dass man vor größeren Einladungen mal unabhängig vom Regelwerk die Perspektive der anderen einnimmt.
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