Sommerhaus mit Swimmingpool
genauso. Auch sie müssen vor allem lustig sein. Es muss gelacht und gesoffen und geflucht werden. Sonst gilt das als spießig. Eine spießige Beerdigung ist der schlimmste Albtraum eines Künstlers. »Genauso hätte es Henk gewollt«, sagen sie und zerdeppern die Whiskyflasche auf dem Sarg. »Es muss lustig zugehen. Kein Jammertal, verdammt noch mal!« Ich glaube, es hat vor fünfzehn Jahren angefangen, das mit den spaßigen Begräbnissen. Rosa Särge, Särge aus unbehandeltem Holz, mit Drachen und Haizähnen bemalte Särge, Särge von Ikea, Särge aus Plastik oder in Müllsäcke eingewickelte Särge. Am schlimmsten ist es für die Kinder. Wenn Kinder beteiligt sind, ist es sowieso schon schlimm, doch wenn ein Künstler stirbt, werden auch die Kinder gezwungen, das Ganze als Spaß zu sehen. Papas Sarg mit Stickern oder Versen zu verschandeln. Ihm seinen Lieblingsbecher mit der Aufschrift fuck you! in den Sarg zu legen. Für später. Für dort. Am Ende der langen Reise. Damit er auch dort noch aus seinem Lieblingsbecher mit der Aufschrift fuck you! Kaffee trinken kann. Die Kinder dürfen vor allem nicht heulen. Man bemalt ihre Gesichter, und sie kriegen Luftballons, Tröten und Papphütchen mit auf den Weg. Denn das war Papas größter Wunsch: dass seine Kinder Spaß haben auf seiner Beerdigung. Dass sie Verstecken spielen zwischen den Gräbern. Dass es hinterher Limonade und Kuchen gibt und einen großen Eimer mit Toffees und Snickers und Marsriegeln.
Alle wollen sie auf demselben Friedhof begraben werden. Auf dem Friedhof in der Biegung des Flusses. Es gibt eine lange Warteliste, für die normale Leute mit einem 9-to-5-Job erst gar nicht infrage kommen. Weil der Friedhof in der Biegung des Flusses liegt, gibt es mindestens viermal im Jahr eine Beerdigung, bei der der Verstorbene übers Wasser transportiert wird. Es erhöht die Chance, dass man am nächsten Tag ein Foto in der Zeitung hat. Das Boot legt in der Innenstadt ab und fährt unter den Brücken hindurch, das garantiert gute Bilder. Es ist üppig mit Blumen und Kränzen geschmückt, Männer und Frauen tragen bemalte Gewänder und Zipfelmützen auf dem Kopf. Frauen mit Schmetterlingsflügeln auf dem Rücken, Männer mit grün oder rot gefärbten Schnurrbärten. Auf dem Vorderdeck spielen vier Bläser vom Trompetenensemble Glück und Freud in Clownskostümen eine spaßige Melodie. Alle auf dem Leichenboot und den Begleitbooten sind schon betrunken. Die normalen Leute schauen vom Ufer dem schwimmenden Leichenzug zu, doch die besoffenen Trauergäste würdigen die normalen Leute keines Blickes.
Man muss es Ralph Meier lassen – oder eigentlich seiner Frau Judith –, dass seine Beerdigung bis zu einem gewissen Grad normal war. Kein Boot, sondern ein gewöhnlicher Leichenwagen. Es waren bestimmt tausend Leute gekommen. Kamerateams mehrerer Fernsehsender. Als der Wagen mit dem Sarg in den Kiesweg einbog, brauchte ich nur ein paar Schritte zurückzutreten, um nicht gleich von den nächsten Angehörigen bemerkt zu werden. Judith trug eine große Sonnenbrille und einen schwarz-weiß gepunkteten Trauerschleier. Wahrscheinlich kam es durch diesen Schleier, dass sie mich an jenem Tag, mehr noch als sonst, an Jacqueline Kennedy erinnerte, obwohl ich nicht glaube, dass Jacqueline Kennedy einem ungebetenen Gast auf einer Beerdigung vor Tausenden von Leuten ins Gesicht gespuckt hätte.
Nach dem Vorfall bin ich nicht sofort weggegangen, sondern habe noch eine Weile am Flussufer gestanden. Ein Ruderboot schoss durchs Wasser, ein Mann auf einem Fahrrad schrie den Ruderern vom Ufer Anweisungen durch ein Megafon zu. Auch die zwei Schwäne, in ihrem Kielwasser zwei schaukelnde Jungen, verstärkten den Eindruck, dass »dasLeben einfach weitergeht«, wie man so sagt. Nach ein paar Minuten drehte ich mich um und ging zum Friedhof zurück.
Weil nicht so viele Leute in die Trauerhalle passten, wurden die Reden unter freiem Himmel gehalten. Der Bürgermeister sprach und sogar der Kultusminister. Schauspielkollegen und Regisseure kramten Erinnerungen aus und gaben pikante Anekdoten zum Besten. Es wurde gelacht. Ich stand ganz hinten, halb verdeckt zwischen den Sträuchern, ein paar Meter vom Kiesweg entfernt. Ein Komiker hielt eine Rede, in der es hauptsächlich um ihn selbst ging. Es war weniger eine Trauerrede als vielmehr eine Generalprobe für seinen nächsten Auftritt. Ein paar Leute lachten, doch es klang, als fänden sie es eher peinlich als lustig. Ich dachte an Ralph
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