Sommerhaus mit Swimmingpool
Jungen,der mir vorhin die Hand gegeben hatte; ich hatte schon wieder vergessen, dass er Alex hieß. Hinter ihnen standen zwei Jungen und zwei Mädchen. »Dürfen wir uns Eis kaufen?«, fragte sie. »Es ist ganz in der Nähe.«
Das Timing war sowohl schlecht als auch gut. Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass sich die ein wenig schwüle Atmosphäre unseres vordergründig unschuldigen Gesprächs über Mädchenzimmer, Robbenposter und Pferdebücher nichtwieder einstellen würde. Andererseits stand hier meine dreizehnjährige Tochter als lebender Beweis dafür, dass dieser unterhaltsame Mann – ich – in der Lage gewesen war, ein Kind zu zeugen. Und nicht irgendein Kind, sondern eine verträumte, blonde Erscheinung, bei deren Anblick der Hormonspiegel fünfzehnjähriger Jungen nach oben schnellt. Ich gebe es unumwunden zu: Ich genieße es, wenn ich mit meinen Töchtern unter Leuten bin. Auf einer Café-Terrasse, in einem Kaufhaus, am Strand. Die Leute gucken. Ich sehe sie gucken. Ich sehe auch, was sie denken. Großer Gott, was sind das für gut gelungene Kinder, denken sie. Was für bildhübsche Mädchen! Im nächsten Augenblick denken sie an ihre eigenen, ihre weniger gelungenen Kinder. Sie werden eifersüchtig. Ich fühle ihre neidischen Blicke. Sie suchen Schönheitsfehler: nicht ganz gerade Zähne, Pickel, eine zu schrille Stimme. Doch sie finden nichts. Dann packt sie die Wut. Sie sind wütend auf den Vater, der mehr Glück hatte als sie. Das Biologische ist stark. Auch ein hässliches Kind liebt man mit Leib und Seele. Aber es ist etwas anderes. Man ist glücklich mit der Wohnung im dritten Stock im Hinterhaus, doch dann wird man von jemandem zum Essen eingeladen, der einen Swimmingpool im Garten hat.
»Wo denn genau?«, fragte ich so beiläufig wie möglich.
Ich betrachtete die Tranfunzel von einem Jungen, wie jeder Vater den Jungen betrachtet, der mit seiner Tochter ein Eis essen will. Wenn du sie auch nur mit einem Finger berührst, bist du ein toter Mann . Eine andere Stimme flüsterte: Lass los! Irgendwann kommt die Zeit, da man als Vater im Dienste der Erhaltung der Art einen Schritt zurück machen muss. Auch das ist Biologie.
»Die Eisdiele ist hier gleich um die Ecke«, sagte Judith. »Nur eine Querstraße mit etwas mehr Verkehr, aber da gibt es eine Ampel.«
Ich sah sie an und widerstand der Versuchung zu sagen: »Meine Tochter ist dreizehn, Darling, sie radelt morgens schon ganz allein zur Schule.« Ich tat, als würde ich nachdenken. Als würde ich mich erweichen lassen. Ein besorgter, aber verständnisvoller Vater. Vor allem ein netter Vater.
»Okay.« Und an den Jungen gewandt: »Ich verlasse mich darauf, dass du sie heil zurückbringst.«
Wir waren wieder allein, Judith und ich. Doch der Augenblick war tatsächlich vorbei. Es wäre ein schwerer Fehler gewesen, jetzt wieder von Robbenpostern oder Pferdebüchern anzufangen. Oder von Mädchenzimmern. Da wäre ich als Mann unten durch gewesen. Ihm fällt nichts mehr ein, denkt die Frau und ergreift die Flucht. »Ich muss mal in die Küche, gucken, ob der Kuchen schon fertig ist.«
Ich sah sie an. Ich hielt ihren Blick fest, wäre ein besserer Ausdruck. Ich hatte gesehen, wie Judith meine Tochter betrachtet hatte. Auch ihr Blick war so alt gewesen wie die Welt selbst. Eine gute Partie, hatten ihre Augen gesagt. Eine gute Partie für meinen Sohn. Und jetzt sahen wir einander an. Ich suchte nach den richtigen Worten, aber ich sagte es ihr mit den Augen. Du brauchst nicht neidisch oder wütend auf mich zu sein. Auch dein Sohn ist gut gelungen. Auch er ist eine gute Partie. Dass ich Julia so ohne Weiteres mit ihm hatte losziehen lassen, bestätigte nur, was alle mit eigenen Augen sehen konnten. Neunzig Prozent der Frauen finden einen verheirateten Mann attraktiver als einen Single, pflegte mein Professor für Biomedizin, Aaron Herzl, zu sagen. Einen Mann, der schon jemanden hat. Ein verheirateter Mann, am liebsten mit Kindern, hat sich schon bewiesen. Er hat gezeigt, dass er es kann. Singles sind wie ein Haus, das lange leer steht. Irgendetwas kann mit dem Haus einfach nicht stimmen, denkt die Frau. Ein halbes Jahr später steht es immer noch leer.
Was Judith in diesem Moment sah, war ein verheirateter Mann. Die Botschaft war klar. Unsere Kinder waren Prachtexemplare. Unabhängig voneinander hatten wir die menschliche Spezies durch erstklassige Kinder bereichert, nach denen große Nachfrage bestand. Unsere Kinder würden nie leer stehen.
»Hat
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