Sommerhaus mit Swimmingpool
Augenblick, den ich gerne mit meiner Tochter gemeinsam erleben würde. Man nimmt den Vogel behutsam in die Hände und wirft ihn in die Luft. Zuerst flattert er noch etwas unbeholfen, doch dann findet er sein Gleichgewicht auf einem tief hängenden Zweig, auf dem er eine Weile sitzen bleibt. Er schüttelt sein Gefieder und blickt sich um. Zu uns, seinen Rettern. Er ist uns dankbar, bilden wir uns ein. Dann macht er mit dem Kopf eine Vierteldrehung, richtet ein Auge zum Himmel und fliegt davon.
Wir hatten verabredet, wir würden Montag abreisen. Es schien mir unwahrscheinlich, dass das Vögelchen in zwei Tagen schon flügge sein würde, aber wir konnten es immer noch mitnehmen, im Karton auf dem Rücksitz.
Das wäre das ideale Szenario. Mein ideales Szenario. Doch Lisa fragte: »Ob sie es in dem Zoo wohl haben wollen?«
»Was meinst du damit?«
Lisa biss sich auf die Lippen und seufzte tief. »In einem Zoo gibt es doch vor allem Tiger und Elefanten und so. Und das ist ein ganz gewöhnliches Vögelchen. Vielleicht wollen sie es gar nicht haben.«
Alle brachen in Lachen aus. Judith, Ralph, alle, sogar Emmanuelle lachte hinter ihrer Sonnenbrille, obwohl sie sich nicht die Mühe machte zu fragen, worüber wir lachten.
Der Aufseher des Zoos trug eine kurze Kakihose und ein weißes T-Shirt. Er warf einen Blick in die Schachtel und lächelte gerührt.
»Das ist sehr schön, dass du es hierhergebracht hast«, sagteer zu Lisa. »So ein Kerlchen überlebt keinen Tag ohne seine Mutter.«
»Was hat er gesagt?«, fragte Lisa.
Ich übersetzte. Lisa nickte ernst. »Was machen Sie jetzt mit ihm?«
»Wir behalten es ein paar Tage hier«, sagte der Aufseher. »So lange, wie es nötig ist. Bis es wieder zu Kräften gekommen ist. Aber manchmal wollen sie dann nicht mehr zurück in die Natur, sie haben sich schon zu sehr an die Menschen gewöhnt. Dann darf es für den Rest seines Lebens hierbleiben.«
Wir folgten dem Aufseher zum Vogelhaus, damit Lisa sehen konnte, wo ihr Schützling untergebracht werden würde. Besondere Tiere konnte ich nicht entdecken. Ein paar Rehe, Schafe mit großen Hörnern, ein sehr fettes Schwein, ein paar Pfaue und Störche. In einem zu kleinen Käfig war ein Wolf, der sich am Gitter rieb.
»Haben Sie auch Lamas?«, fragte ich.
Der Aufseher schüttelte den Kopf. »Wir haben hier ganz gewöhnliche Tiere, wie Sie sehen. Noch eine Gämse und ein paar Springböcke, aber das wär’s dann schon.«
»Angenommen, hier in der Gegend hat jemand ein Lama«, sagte ich. »Und er kann sich nicht länger darum kümmern. Und auch nicht um seine anderen Tiere. Würdet ihr sie dann aufnehmen?«
»Ein Lama wäre sehr willkommen, aber wir machen da keinen Unterschied. Wir kümmern uns um alle Tiere, die kein Zuhause haben. Vorübergehend oder für immer. Manchmal finden wir einen neuen Besitzer. Aber wir sind da sehr vorsichtig und prüfen, ob der Betreffende auch wirklich ein echter Tierfreund ist.«
»Das höre ich gerne«, sagte ich. »Geben Sie mir doch Ihre Telefonnummer für den Fall, dass mir etwas zu Ohren kommt.«
Als wir zurückkamen, lagen Alex, Julia und Thomas gerade am Swimmingpool. Sonst war niemand zu sehen.
»Ihre Frau ist mit meinem Vater und Stanley und Emmanuelle in die Stadt gefahren«, erklärte Alex. »Aber Mutter und Oma sind drinnen.«
Ich sah hinauf. Hinter dem Küchenfenster sah ich Judiths Mutter sitzen, mit dem Rücken zu mir. Lisa war schon zu unserem Zelt gerannt, um ihre Schwimmsachen zu holen.
»Haben sie gesagt, wie lange sie wegbleiben?«
»Nein, keine Ahnung. Aber sie sind gerade erst weg. Höchstens zehn Minuten.«
Judith und ihre Mutter saßen an dem kleinen Küchentisch. Judith lackierte ihrer Mutter die Fingernägel. Kein auffälliger Nagellack, blassrosa, fast durchsichtig – eine Farbe, die zu einer alten Frau passte.
»Und?«, fragte Judith. »Habt ihr den Zoo gefunden?«
Auf dem Herd standen eine Kaffeekanne und ein kleiner Topf, in dem noch etwas aufgeschäumte Milch war. Ich sah auf die Uhr, die über der Küchentür hing. Halb zwölf. Ja, das ging. Ich hatte sowieso keine Lust auf Kaffee.
»Sie waren sehr nett da«, sagte ich, während ich den Kühlschrank öffnete und eine Bierdose herausholte. »Lisa fiel es gar nicht so schwer, Abschied von ihrem Vögelchen zu nehmen.«
Aus irgendeinem Grund fand ich es unangebracht, mich mit dem Bier zu den beiden Frauen an den Tisch zu setzen. Ich lehnte mich an die Spüle und öffnete die Dose. Schon nach zwei Zügen
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