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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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zurückkam, stand ich noch am Kühlschrank. Es ging alles ganz schnell. Ich stellte das Bier auf die Anrichte, legte den Arm um Judiths Taille, zog sie an mich und küsste ihren Hals. Dann griff ich ihr ins Haar, zog ihren Kopf zurück und küsste sie wieder, diesmal näher am Ohr. Sie kicherte, stemmte sich mit beiden Händen gegen meine Brust. Aber das war bloß eine symbolische Geste. Nun ließ ich meine Hand nach unten wandern, sie trug nur eine dünne, offene Bluse über dem Bikini, und ich schob die Finger unter das Gummi des Höschens.
    »Marc«, flüsterte sie. »Meine Mutter … meine Mutter ist wach. Sie –«
    »Judith«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Liebe, süße Judith.«
    Jetzt spürte ich auch ihre Finger. Sie nestelte an meinem Bauch herum, zog mein Hemd, das locker über den Shorts hing, hoch und öffnete gleichzeitig zwei Knöpfe. Ihre Nägel kitzelten das Gebiet unterhalb meines Nabels, dann ließ sie die Finger weiter nach unten gleiten. Von ihrem Ohr zu ihren Lippen war es nicht weit, doch ich tat mein Bestes, es eine Ewigkeit dauern zu lassen. Meine Hand umfasste ihre Pobacken und drückte sie erst sanft, dann fester. Judith legte den Kopf zurück. Ihre Zungenspitze berührte meine, sie leckte ein wenig daran und zog sich dann schnell wieder zurück. Dabei hielt sie die Augen, wie alle Frauen, geschlossen. Ich hatte sie, wie alle Männer, offen. Und weil ich sie offen hatte, konnte ich die Küchentür sehen. Hinter Judiths Kopf und meiner Hand, die noch immer in ihrem Haar wühlte.
    Man kennt das, man legt das Buch auf den Tisch, geht aus dem Zimmer, und wenn man wieder hereinkommt, liegt es anders da. Ich war mir todsicher, dass Judith, als sie wieder in die Küche gekommen war, die Tür einen Spalt offen gelassenhatte. Und genauso todsicher war ich mir, dass die Öffnung jetzt größer war, nur ein wenig, aber eindeutig größer.
    Im gleichen Augenblick nahm ich eine Bewegung wahr. Es war nur ein Schatten auf dem Fußboden, mehr nicht. Es war nichts zu hören. Manchmal dehnen sich Sekunden zu einer neuen Zeiteinheit aus. Die genau mit unserem Herzschlag korrespondiert. Ich starrte zur Tür. Vielleicht war ja alles nur Einbildung gewesen. Aber da bewegte sich der Schatten wieder. Kein Irrtum möglich. Jemand stand hinter der Tür.
    Ich zog meine Hand rasch aus Judiths Höschen zurück und legte sie ihr auf den Bauch. Sanft schob ich sie von mir.
    Offenbar glaubte sie, ich probiere nur eine neue Variante des Vorspiels aus. Anziehung, Abstoßung und Hinauszögerung. Sie gab einen Laut von sich, der sich anhörte wie ein Mittelding zwischen Ächzen und Seufzen, dann lachte sie und faltete ihre Hand über meine, mit der ich sie von mir schob.
    Sie öffnete die Augen und sah meine Lippen lautlos die Worte formen:
    Die Tür. Hinter der Tür steht jemand.
    Sie ließ sich langsam von den Zehenspitzen auf die Fersen sinken und wurde zehn Zentimeter kleiner. Ihre Pupillen weiteten und verengten sich. Sie ließ meine Hand los.
    »Noch ein Bier, Marc?«, fragte sie laut. »Ich schau mal. Hoffentlich ist noch eins da.«
    Ihre Stimme klang normal. Zu normal. Wie eine Stimme eben klingt, die sich bemüht, normal zu klingen. Sie strich sich mit beiden Händen das Haar zurecht. Ich zog mir das Hemd wieder über die Hose und schloss rasch die Knöpfe.
    Da standen wir also, wie zwei ertappte Teenager mit hochroten Köpfen. Wir konnten uns noch so sehr unsere Haare und Klamotten zurechtzupfen – unsere Gesichter würden uns verraten.
    Judith ging rückwärts zur Tür. Sie gestikulierte: Mach den Kühlschrank auf!
    Doch das tat ich nicht. Es überlief mich auf einmal kalt. Mein Herz setzte ein paar Schläge aus. Der Höhepunkt in einem Horrorfilm: das blutige Betttuch wird weggezogen, und es liegt tatsächlich jemand darunter. Eine Leiche mit eingeschlagenem Schädel, ohne Gliedmaßen. Die hat jemand fachmännisch abgesägt und wegtransportiert.
    Ich rannte zum Fenster. Beim Swimmingpool war niemand. Der Liegestuhl, auf dem Alex und Julia gerade noch gelegen hatten, war leer.
    »Mama?«
    Ich drehte mich um und sah, wie Judith die Küchentür mit Schwung aufstieß. »Mama?«
    Ich beugte mich so weit aus dem Fenster, dass ich fast das Gleichgewicht verloren hätte. Mein Herz klopfte immer lauter. Panikattacke. Adrenalinschub. Das Herz stellt sich auf Flucht ein, auf Flucht oder Angriff. Der Sauerstoff muss so schnell wie möglich dahin, wo er am dringendsten benötigt wird: zu den Füßen, damit sie losrennen,

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