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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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wanderte. War diese Frau schlichtweg dumm? Oder war sie viel gerissener, als ich gedacht hatte? Ich musste jetzt vor allem den Mund halten. Denn sonst hätte ich sie angeschrien: Du bist doch eine Frau, du Miststück! Du musst doch wissen, was einer Frau alles passieren kann. Ein Mann hat eine Frau zu beschützen. Selbst wenn er noch ein Kind ist!
    Ich holte tief Luft. »Du hast recht«, sagte ich. »Wir dürfen keine voreiligen Schlüsse ziehen.«
    Zum Glück haben wir immer Klischees parat. An ihnen klammern wir uns fest, wenn wir in eine gefährliche Strömung zu geraten drohen. Judiths Gesicht entspannte sich wieder. Sie klappte ihr Handy auf.
    »Soll ich Ralph mal anrufen?«, fragte sie. »Ob Alex schon angekommen ist? Auf jeden Fall weiß er dann schon mal Bescheid.«
    Mach ruhig, dachte ich. Ruf Ralph an. Er kann dir aus eigener Erfahrung bestätigen, dass alle Frauen Flittchen sind. Dann braucht sich auch keiner mehr schuldig zu fühlen. Ich sah an Judith vorbei auf den weißen Schaum der Wellen. Am liebsten hätte ich sie jetzt einfach stehen lassen. Wortlos. Aber das wäre unklug gewesen. Aus den verschiedensten Gründen.
    »Ruf ihn an«, sagte ich. »Dann schaue ich mich noch ein wenig um.« Ich zeigte dorthin, wo der Sandstrand in die Felsenküste überging. Erst waren es noch ziemlich niedrige Felsen, die ein Stück weit ins Meer hineinragten, dann ging es aber bald sehr steil hoch. Hinter einem der hohen Felsen kam gerade der Halbmond zum Vorschein.
    Und im blassen Schein dieses Mondes sah ich plötzlich ein paar Hundert Meter vor uns, halb verdeckt von den Felsen, ein paar Leute stehen, fünf oder sechs, die sich über etwas im Sand beugten.
    »Ralph?«, hörte ich Judith noch sagen. »Wo bist du?«
    Aus der Gruppe löste sich jemand und rannte in meine Richtung.
    »Was? Wo?« Judith hielt sich das Ohr zu und wandte sich von mir ab. »Wieso? Wieso bist du nicht …?«
    Den Rest hörte ich schon nicht mehr, ich rannte los, auf die Leute zu, gleichzeitig versuchte ich, den Mann abzufangen, der auf mich zukam. Er trug halblange weiße Hosen, ein weißes T-Shirt und weiße Sportschuhe. An solche Einzelheiten erinnert man sich später. Man weiß es nämlich sofort: Diese Leute und dieser ganz in Weiß gekleidete Mann haben irgendwas mit einem zu tun – und zwar etwas ganz Wesentliches!
    »Was ist passiert?«, schrie ich. »Was?«
    »Rettungsdienst!«, stammelte der Mann außer Atem. »Wir müssen den Rettungsdienst rufen.«
    »Ich bin Arzt«, sagte ich. Zum zweiten Mal an diesem Abend.
    Julia lag im nassen Sand zwischen den Felsen. Die Leute traten zurück, als ich neben meiner Tochter in die Hocke ging und ihr den Puls fühlte. Ich legte das Ohr an ihre Brust und rief leise ihren Namen. Sie lag totenstill da, ihr Gesicht fühlte sich kalt an, doch der Puls war regelmäßig. Schwach, aber regelmäßig.
    Ich schob den Arm unter ihren Nacken und hob ihren Kopf ein wenig hoch. Erst dann ließ ich den Blick weiter nach unten wandern. Ich war zwar ihr Vater, aber ich schaute mit den Augen des Arztes. Als Arzt erkannte ich sofort, was passiert war. Die sichtbaren Spuren ließen nur einen Schluss zu. Als Vater werde ich über die genaue Art dieser Spuren nicht ins Detail gehen. Ich berufe mich nicht auf die ärztliche Schweigepflicht, sondern ausschließlich auf das Recht auf Privatsphäre. Der Privatsphäre meiner Tochter.
    Deshalb beschränke ich mich auf die Wiedergabe der Gedanken, die mir in dem Moment durch den Kopf schossen.
    Wer das hier zu verantworten hat, ist nur noch biologisch gesehen am Leben, dachte ich. Er läuft in diesem Moment hier irgendwo herum, weil es nun einmal eine Eigenschaft menschlicher Organismen ist, irgendwo herumzulaufen. Sein Herz schlägt. Das Herz ist eine dumme Maschine. Solange unser Herz Blut in die Adern pumpt, bewegen wir uns. Aber eines Tages bleibt es stehen. Besser heute als morgen. Dafür kann ich als Arzt sorgen.
    »Papa …«
    Julia machte die Augen auf, schloss sie aber gleich wieder.
    »Julia.«
    Ich bewegte ihren Kopf ein wenig hin und her, strich ihr übers Haar und drückte sie fest an mich.
    »Julia«, sagte ich.

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32
    Caroline sagte kein Wort. Sie sagte jedenfalls nicht all die Dinge, vor denen ich mich gefürchtet hatte. Wie konntest du sie nur allein zu der Strandbar gehen lassen? Warum hast du dich nicht sofort auf die Suche nach ihr gemacht? Wenn du es sofort getan hättest, wäre das nie passiert.
    Nein, sie sagte kein Wort, als ich Julia vom

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