Sommerhaus mit Swimmingpool
Rücksitz hob und in meinen Armen zum Sommerhaus trug. Sie schlug nur – ganz kurz, höchstens zwei Sekunden – die Hände vors Gesicht. Dann war sie wieder die Mutter ihrer Tochter. Sie streichelte Julias Kopf und flüsterte tröstliche Worte.
Doch auch später machte sie mir keine Vorwürfe. Es heißt ja, bei einer Katastrophe in einer Familie seien die ersten Minuten und Stunden von entscheidender Bedeutung. Dann zeige sich, ob die Verbundenheit stark genug ist, die Tragödie zu überstehen. Wer mit Vorwürfen anfängt, kann irreparablen Schaden anrichten. Scheidungen sind eher die Regel als die Ausnahme, wie die Statistiken zeigen. Man sollte annehmen, eine Tragödie und das geteilte Leid würden den Zusammenhalt stärken. Doch das ist meist nicht der Fall. Viele Leute wollen den Kummer vergessen, und es ist der andere, der sie immer wieder daran erinnert.
Ich kann diejenigen verstehen, die sich für das Vergessen entscheiden, und es liegt mir fern, uns für moralisch überlegen zu halten, weil uns das Geschehen enger zusammenschweißte. Es war keine bewusste Entscheidung , es passierte einfach.
Wir standen unten an der Treppe des Sommerhauses. Ich mit Julia in den Armen. Unschlüssig. Sollte ich sie oben auf die Couch im Wohnzimmer legen? Wo alle sie sehen konnten? Aber auch die Schlafzimmer von Ralph und Judith, von Judiths Mutter oder den Jungen kamen irgendwie nicht infrage. Dann noch lieber unser Zelt. In erster Linie wollte ich unsere Tochter vor den neugierigen Blicken der anderen schützen. Ich wollte mit ihr allein sein. Mit uns. Sie sollte nur mit uns zusammen sein.
In dem Moment kam Emmanuelle aus dem unteren Apartment. Sie winkte.
»Come« , sagte sie. »Come here.«
Ich hatte Julia erst zur Strandbar getragen. Wir beratschlagten, was wir tun sollten. Judith meinte, wir sollten einen Krankenwagen rufen, aber das kam für mich nicht infrage. Kein Krankenwagen, sagte ich entschieden. Ich dachte an das Blaulicht, an all die Leute, die sich um die Trage versammeln würden. An die Sirene. An die unvermeidliche Fahrt ins Krankenhaus. Dort würden sich dann wieder andere einmischen. Hilfreiche Krankenschwestern. Ärzte. Ich war selber Arzt. Ich hatte als Erster die Situation in Augenschein genommen. Ich hatte die einzig mögliche Diagnose gestellt. Es war unnötig, dass andere dieselbe Diagnose noch einmal stellten.
Judith schlug vor, das Auto zu holen, ich sollte so lange bei Julia bleiben. Ich muss zugeben, dass sie ziemlich effizient reagierte. Sie bewahrte einen kühlen Kopf, wie man so sagt. Ich hatte mit Panik gerechnet. Aber sie blieb äußerst ruhig. Sie fing keine Diskussion an. Okay, sagte sie, wenn du das willst, dann machen wir das. Als sie eine Hand auf Julias Stirn legen wollte und ich mich von ihr wegdrehte, unternahm sie keinen zweiten Versuch. Ich wollte möglichst schnell fort von hier,weg von den Leuten, die sich neugierig um uns versammelt hatten. Die Blicke, die sie auf meine Tochter warfen, machten mich rasend. Schon zu viele Leute hatten sie gesehen. Ich bin Arzt, sagte ich. Sie können ruhig weitergehen. Alles ist unter Kontrolle.
Nein, sagte ich zu Judith. Wir gehen hier zusammen weg. Ich trage sie.
Und so geschah es. Unterwegs verlor Julia wieder das Bewusstsein. Ich schüttelte sie wach. Sie musste wach bleiben. Bei der anderen Strandbar trafen wir Alex, Thomas und Lisa. Von Ralph und Stanley keine Spur. Wenn man bedenkt, was gerade passiert war, war ich eigentlich noch ganz gut beisammen. Ich achtete in erster Linie darauf, wie Alex reagierte. Er schaute nur ganz kurz zu uns her, blickte gleich wieder weg. Er kam auch nicht näher heran. Im Nachhinein glaube ich, dass es an mir lag. Ich war wie ein Tier, das die Zähne bleckt, wenn sich jemand seinen Jungen nähert. Nein, nicht wie ein Tier. Ich war ein Tier.
Am wichtigsten war jetzt Lisa. Ich sah ihr verstörtes Gesicht, als sie auf uns zurannte. »Julia fühlt sich nicht wohl«, sagte ich rasch, bevor sie etwas fragen konnte. »Komm, wir fahren schnell zurück.«
Thomas tanzte um uns herum und schrie »Fußball spielen, Fußball spielen!«, bis Judith ihn so grob am Arm zog, dass er in den Sand fiel. Ich sah Tränen in seinen Augen, aber Judith hatte ihn schon wieder genauso grob an den Handgelenken hochgezogen. »Jetzt stell dich mal nicht so an, Thomas. Los, mach schon!«
So gingen wir zum Parkplatz. Ich meine Tochter in den Armen, hinter mir Judith, die Lisa an der Hand hielt, und dann Alex und ein immer noch
Weitere Kostenlose Bücher