Sommerhit: Roman (German Edition)
Kombination mit Frau Erdt, dieser verschusselten und verängstigtenjungen Frau mit Topfschnitt, deren pädagogisches Konzept hauptsächlich darin bestand, mit gesenktem Kopf betreten zu schweigen, wenn zum Beispiel eine mit Spucke verklebte Papierkugel neben ihr an die Tafel klatschte, während sie unregelmäßige Verben auflistete.
Herr Bonker lächelte, natürlich lächelte Herr Bonker, er war zu keinem anderen Gesichtsausdruck fähig; er trug seinen grauen Anzug, die Lackschuhe und eine Fliege, die Aktentasche lag auf seinem Schoß, und er badete in Schweiß. Inzwischen war ich dazu in der Lage, verschiedene Sorten auseinanderzuhalten – Schweiß, der von sportlichen Betätigungen stammte, Angstschweiß, Schweiß als Ergebnis von Lust und vier andere Arten. Herr Bonker schwitzte einfach nur, weil es heiß war und sein Metabolismus anders funktionierte. »Herr Bonker schwitzt wie ein Schwein«, ertönte manchmal, wenn der Lehrer darauf wartete, dass eine Frage beantwortet wurde, und ich verkniff mir jedes Mal mitzuteilen, dass Schweine überhaupt nicht schwitzen. Das hatte mir Karen erzählt, damals in diesem Sommer, vor drei Jahren, als mein altes Leben endete und ein anderes begann.
Bei Frau Erdt war es nackte Angst, aber ihre Drüsen produzierten längst nicht so viel wie diejenigen ihres Nachbarn. Ich hob den Blick.
Direkt hinter den Lehrern saßen die Verlierer, gleich zuerst die mikrosome Tine, die einen Doppelsitz für sich hatte, was den Eindruck erweckte, eigentlich würden vier Leute in diese Reihe passen, und Heiko auf der anderen Gangseite, auch alleine. Dann folgten der dritte Martin und Harald, nebenan Arndt, der also doch noch beschlossen hatte mitzufahren oder der sich wieder mal nicht getraut hatte, seinen energischen Eltern gegenüber irgendwas zu sagen. Arndt sah zu mir auf, erwartungsvoll und zugleich bedrückt, umgeben vom Miefseiner Füße. Die Lautstärke im Bus war enorm, es lief Musik, die ich kannte, weil meine Klassenkameraden sie liebten, eine deutsche Sängerin, deren jugendlich-rauchige, aber unausgebildete Stimme gegen überhöhte Effekte und treibendes Schlagzeug ankämpfte. Nena. Im Gang rollten leere Dosen umher, nicht wenige davon Bierdosen. Ob Herr Bährmann das geduldet hätte?
Trotz der Lautstärke hörte ich, wie zwei, drei Stimmen im Chor wiederholt »Ostler« zischten, aus Richtung der Fraktionen, die die Klasse beherrschten und sich wohlüberlegt den hinteren Bereich des Busses ausgesucht hatte. Anfangs hatte mich diese Bezeichnung verunsichert, und ich hatte sie willig als die Beleidigung aufgefasst, die sie darstellen sollte, aber inzwischen interessierte es mich nicht mehr, davon abgesehen stimmte es – ich war der Ostler, immer noch.
Es roch nach Rauch, Alkohol, einem süßlichen, mir bisher unbekannten Aroma, das aber ebenfalls etwas Rauchiges hatte, und vielem anderen, aber alles wurde übertönt vom Schweiß, denn im Bus war es wirklich unglaublich warm.
Dies hier war meine erste und letzte Reise mit ihnen. Wir hatten nur noch vier Monate. Was sollte geschehen? Hatte ich irgendwas zu verlieren? Ich lächelte Arndt entschuldigend zu und verabschiedete mich dabei gedanklich von den quälend langweiligen Nachmittagen zwischen Schneidetisch, Kamera und Projektor, drückte meine Schultern durch und ging in Richtung Heck des Busses, der in diesem Augenblick wieder anfuhr.
Dadurch kam ich neben Christine zu sitzen, Chrissie, einem schmalen, flachbrüstigen Mädchen mit kurzen, schwarzen Haaren und hypnotischen grünen Augen. Sie war das erste und bisher einzige Mädchen, mit dem ich mich nach Karen geküsst hatte, auf einer Klassenfete im Herbst 1981, noch bevor ich damit begonnen hatte, reichlich Winterspeck anzusetzen –und mich von allen außerschulischen Aktivitäten abzunabeln. Auf diese Fete war ich, wie mir damals bewusst war, auch nur als Attraktion eingeladen worden, als jemand, mit dem man sich befasste, weil er noch einen gewissen Unterhaltungswert hatte, aber mein fadenscheiniger Stern sank rasch, was mir sehr recht war. Trotzdem hatte ich die Party besucht, wie alle anderen Bier und Bowle und klare Schnäpse aus Plastikbechern getrunken, mich langsam zur psychedelischen Musik – von Pink Floyd, Mike Oldfield, Angelo Branduardi und so weiter – bewegt und irgendwann Chrissie in meinen Armen gehalten, deren Augenlider bereits flatterten und die mich während der kommenden zwanzig Minuten mit allen möglichen Vornamen anredete, nur nie mit meinem
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