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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Lächeln hatte etwas sehr Kaltes.
     
    Wir passierten Straßburg und kamen in die schönste Landschaft, die ich jemals gesehen hatte. Während es nach und nach hügeliger wurde, durchfuhren wir pittoreske Orte, die Namen trugen, die danach klangen, als hätten sich ein Deutscher und ein Franzose um sie gestritten und schließlich, einander weinselig in den Armen liegend, einfach beide Sprachen miteinander gemischt. Rechts von uns befand sich ein Bachlauf, dessen Wasser in der Augustsonne blinkte, und hinter kleinen, verschachtelten Feldern begannen Wälder, die sich über die Hügel zogen. Hin und wieder waren schlossartige Gebäude zu sehen, und ich hätte viel dafür gegeben, dieses stinkende Monster von Bus zu verlassen, um den Duft der Landschaft aufzunehmen.
    Nach einer Weile bogen wir rechts von der Landstraße ab, überquerten den breiten Bach und fuhren auf eine zweispurige, von dichten Bäumen gesäumte Straße, die sich kurvenreich durch mehrere Täler zog.
    Und dann endlich hielt das Fahrzeug, fast meinte ich, ein seufzendes Schnaufen zu hören. Wir befanden uns auf einer weitläufigen, grasbewachsenen Lichtung mitten im Nichts. Ich sah einen Teich, eine Art Fußballplatz und eine Anordnung von flachen, gelbbraun gestrichenen Gebäuden, die mehr einem größeren Gehöft als irgendeiner historischen Sache ähnelten. An drei Seiten flankierten sie einen kopfsteingepflasterten Hof, auf dem ein Brunnen zu sehen war.
    Schon kurz vor dem Halt waren meine Klassenkameraden aufgesprungen und drängten sich jetzt im Gang, wie ich es später vielhundertfach in Flugzeugen miterleben sollte. Christine sah mich auffordernd an, aber ich zuckte nur die Schultern, außerdem war das Gedränge zu groß, um sich noch dazwischenzuschieben. Mir war bewusst, dass es um die Zimmerverteilung ging. Eigentlich gab es einen Plan, den Herr Bährmann mit Frau Perpel abgestimmt hatte, aber es war offensichtlich, dass sich niemand daran halten wollte. Frau Erdt und Herr Bonker würden es nicht einmal verhindern können, wenn jemand auf die Idee kam, die Geschlechter zu mischen.
    Ich stieg als Vorvorletzter aus, nur Tine und Heiko saßen noch, weil sie wussten, wo sie hingehörten. Heiko starrte mit leerem Blick aus dem Fenster, aber Tine lächelte, als ich ihr kurz zuzwinkerte. Ich verspürte den Wunsch, ihre Hand zu nehmen und sie dazu zu überreden, im Bus zu bleiben und nach Berlin zurückzufahren. Diese außerordentlich kleine Person – sie war höchstens eins dreißig groß –, die regelmäßig Einsen in vielen Fächern schrieb, aber trotzdem nur eine Durchschnittsnote im mittleren Bereich hatte, weil sie sich absolut niemals zu Wort meldete, hatte in diesem Augenblick mein volles Mitgefühl, umso mehr, da sie sich tatsächlich zu freuen schien. Immerhin, der Blick nach draußen gab ihr vorläufig recht.
    Ich war schon ausgestiegen, als ich den Fahrer sah. Er rieb sich mit einem Papiertaschentuch über die Stirn, danach nahm er seine Brille ab, die stark verschmiert war, und reinigte sie mit demselben Tuch. Sein Gesicht zeigte eine Erleichterung, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte, also drehte ich mich um und flüsterte: »Entschuldigung. Sie wissen es einfach nicht besser.«
    Beim Aussteigen begleiteten mich faserige Wölkchen des Qualms, den mehrere hundert hastig gerauchte Zigarettenproduziert hatten. Trotzdem atmete ich tief durch. Hier roch es
richtig
. Frisch geschnittenes Gras, viele hundert Blumensorten und Baumarten, dazu etwas von verrottendem, aber auch von frisch geschnittenem Holz und der Geruch von Wasser, das über Steine fließt. Und ganz entfernt mischte sich das Aroma von gebratenen Zwiebeln und Kartoffeln darunter. Meine erschnüffelte Vermutung, dass es hier außerdem Tiere – Schweine – geben müsste, bestätigte sich, als ich von einem Holzgebäude schräg hinter dem Haupthaus aufgeregtes Quieken vernahm – wahrscheinlich war gerade Fütterungszeit.
    Unsere Quartiere befanden sich in den beiden Gebäuden, die die Flanken des Haupthauses bildeten, wo die Ess- und Freizeiträume waren. Die kühlen, nicht sehr hellen Zimmer, in denen es nach mildem Reinigungsmittel, Dispersionsfarbe, häufig gewaschener Wäsche und Spuren von Schimmel roch, verfügten jeweils über zwei Doppelstockbetten, zwei schmale Kleiderschränke, einen Tisch und erstaunlicherweise drei Stühle. Quadratische, mit rostigen Stangen vergitterte Fenster lagen in den tiefen Höhlungen der dicken Wände, die auch hier im sandigen

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