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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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Krebsform, die man hier« – er lehnte sich kurz zurück und beschrieb mit der rechten Hand eine Geste, die das gesamte Land umfasste – »hätte behandeln können. Danach habe ich meine Ausreise erpresst, zum Glück war ich beim NBH nur ein vergleichsweise kleines Licht, aber ich wusste viel.«
    »Wissen ist Macht«, sagte Karen sarkastisch. Sie nahm sich eine weitere Zigarette, bot mir auch eine an und winkte nach der Bedienung.
    Er ging nicht darauf ein, bestellte ein Viertel Rotwein und zündete sich einen weiteren Zigarillo an.
    »Es gibt in Ihrer Branche«, er sah mich eindringlich an, »vor allem eines, das man wissen muss. Kulturell gesehen sind Menschen Schwarmwesen. So etwas wie Geschmack oder individuelle kulturelle Intelligenz gibt es nicht, nur Trends, denen erst wenige und dann alle folgen. Das Übrige ist tradiert oder anerzogen. Verstehen Sie mich?«
    Ich hob die Hände, stimmte ihm aber gedanklich zu.
    »Es geht darum, jener Fisch zu sein, dem der Schwarm folgt, oder wenigstens diesen Fisch zu finden und zu manipulieren. Ich meine das nicht negativ. Die Rezeption von Kunst, zumindest von Gebrauchskunst,
Pop
, folgt einem letztlich sehr simplen Schema. Dabei geht es so gut wie nie um Qualität. Sonst hätte es etwas wie die Neue Deutsche Welle nicht gegeben. Oder dieses grausige Zeug, das in den Siebzigern so erfolgreich war. Hendrix, The Doors und diese Leute.«
    Karen lachte und sah den Ungarn dabei aufmerksam an.
    »Nicht alles ist schlecht, beileibe nicht – dieser Mechanismus funktioniert natürlich auch bei guter Musik.« Er nahm das Rotweinglas, das die Bedienung in diesem Moment vor ihm abstellen wollte, aus der Hand der jungen Frau und kippte es hastig herunter. »Nur bleibt Gutes oft erfolglos, und Schlechtes beherrscht den Markt, weil alle Fische träge in diese Richtung schwimmen.«
    »Ich bin Biologin«, erklärte Karen, was ich erst nicht begriff. György allerdings nickte strahlend.
    »Und was wollen Sie jetzt von mir?«, fragte ich, den Rauch ausblasend.
    »Ihnen helfen«, sagte er knapp.
    »Wobei?«
    »Ich habe exzellente Beziehungen, ich kenne das Geschäft, ich liebe Musik. Ich bin ein leidenschaftlicher Angler. Ich will Sie managen. Vielleicht sogar produzieren.«
    Ich hob zu einer Erwiderung an, aber György Rákosi stand auf und legte eine schlichte Visitenkarte auf den Tisch.
    »Sie werden keinen Besseren finden. Überlegen Sie es sich, wenn es so weit ist. Ich bin geduldig.« Dann nannte er die Namen von zwei deutschen Liedermachern – sehr erfolgreichen. »Meine Klienten«, sagte er.
    Ich schüttelte noch ungläubig den Kopf, als Rákosi längst die Studentenkneipe verlassen hatte.
    Als wir schließlich vor dem Hotel standen, war es kurz vor drei Uhr morgens. Um acht wäre Fahnenappell, wie Marko das nannte, denn die meisten von uns, die in den Bus steigen würden, hätten zu dieser Zeit eine Fahne.
    »Ich bin schon hundert Mal daran vorbeigelaufen«, sagte Karen und legte den Kopf in den Nacken.
    »Mein Zimmer hat eine Minibar«, erwiderte ich und bekam eine Gänsehaut.
     
    Die fünf folgenden Tage verbrachte ich hauptsächlich damit, auf Nachrichten meiner Eltern zu warten – und mit Gedanken an diese Nacht mit Karen, diese schlaflosen fünf Stunden bis zum Fahnenappell. Wir hatten eine kleine Flasche Sekt geköpft, hastig geleert und den Rest der Nacht damit verbracht, uns auf meinem Hotelbett aneinanderzukuscheln, in die Augen zu sehen und zu streicheln, in voller Montur, so ähnlich wie in jener ersten Nacht in meinem müffelnden Zelt am Plattensee, vor mehr als neun Jahren.
    »Ich mag dich viel lieber, als ich möchte«, sagte sie ein wenig kryptisch, als wir uns am morgen in der Lobby verabschiedeten. Vor der Tür kletterte Minka in den Bus und stolperte dabei fast, weil sie den Kopf nach uns verdrehte. Der Busfahrer hupte, das galt mir, denn es war eine lange Tour bis Flensburg.
    »Du bist mein bester Freund«, sagte ich und biss mir auf die Lippen. Das hatte ich nicht sagen wollen, aber ich wusste auch nicht, was ich hatte sagen wollen. Kurz huschte ein trauriger Ausdruck über Karens Gesicht.
    »Ja«, sagte sie knapp, küsste mich auf die Wange und verschwand.
    Minka stellte sich schlafend, als ich mich an ihr vorbeihangelte.
     
    In Kiel, fünf Tage später, standen sie nach dem Auftritt vor der Halle. Luise, meine Mutter, und Klaus-Peter, mein Vater, den ich seit fast zehn Jahren nicht gesehen hatte.
    Ich hätte ihn nicht wiedererkannt.
    Sonja war nicht

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