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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Liehr
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neben uns stand, hatte das Gesicht verzogen. »Hier habe ich das von noch niemandem gehört – ich höre das nicht gerne«, sagte er, sich zu uns herunterbeugend. Es fiel ihm schwer, das Ch auszusprechen, er verschluckte es fast, ließ es zu einem leise gezischten Sch werden. »Aber leider immer wieder. Doch wir sind nicht miteinanderverwandt. Mátyás Rákosi hieß ursprünglich Rosenfeld und hat sich den anderen Nachnamen erst später gegeben. Darf ich mich setzen?«
    Wir nickten, er zog einen gerade frei gewordenen Stuhl vom Nachbartisch heran.
    »Sie sind Ungar?«, fragte ich. »Das ist ja irre. Wir beide«, ich neigte meinen Kopf in Karens Richtung, »haben uns in Ungarn kennengelernt.«
    »Vermutlich am Balaton«, sagte er, freundlich lächelnd.
    »Stimmt.«
    »Es war nicht leicht, Sie hier zu finden«, erklärte er. »Ihr Taxi hat meines fast abgehängt, und als Sie dann zur Altstadt aufgestiegen sind, habe ich Sie aus den Augen verloren. Immerhin, dies ist erst die fünfte Bar, in der ich gesucht habe.«
    »Sie haben mich gesucht?«
    Er nickte und förderte umständlich einen Zigarillo aus der Jackettinnentasche hervor.
    »Ich verfolge Ihre Arbeit schon seit fast zwei Jahren. Sie sind der Kopf hinter Minkas Erfolg, aber die Musik, die Sie da machen, ist nicht das, was Sie tun wollen, richtig?«
    »Wie kommen Sie auf diese Idee?«, gab ich etwas barsch zurück, vor allem, weil ich mich ertappt fühlte.
    Er lächelte und blies Rauch aus der Nase. »Es gibt feine Unterschiede zwischen den Stücken, für die Sie Musik oder Texte geschrieben haben, und den anderen. Man spürt gut, dass Sie noch etwas anderes wollten, aber nicht können, weil Minka Minka ist und nicht die Band von Martin Gold.«
    »Na und?«
    »Ich habe Sie genau beobachtet. Ich war auf allen Konzerten, die Sie in diesem Herbst gegeben haben. Auf allen.«
    »Das ist schön für Sie – aber …«
    »Vielleicht sollte ich erklären, wer ich bin«, unterbrach er.
    »Ich weiß nicht, ob ich das hören will.« Die Situation missfiel mir, ich empfand den Kerl als aufdringlich und wollte mit meiner Freundin quatschen, aber Karen legte eine Hand auf meine rechte.
     
    Also hörte ich zu. Er hatte in Budapest Musik studiert, war dann bis 1985 für Hungaroton tätig gewesen, die staatliche und monopolistische Plattenfirma des Landes, vergleichbar mit dem VEB Deutsche Schallplatten in der DDR, mit dessen Label
Amiga
vor einem Jahr kurze und erfolglose Verhandlungen stattgefunden hatten, bei denen es darum gegangen war, Teile von Minkas zweitem Album, das schlicht »Ich« hieß, in der DDR zu veröffentlichen.
    Für Hungaroton hatte er als Produzent gearbeitet; er nannte die Namen einiger Bands und Künstler, von denen ich noch nie gehört hatte, in den kommenden Jahren würden sie, wie auch viele Musiker aus der DDR, vollends dem Vergessen anheimfallen. Außerdem, erklärte der Mann mit dem Kinnbart frank und frei, war er in dieser Zeit verdeckt für das NBH tätig gewesen, das »Amt für nationale Sicherheit«, den ungarischen Inlandsgeheimdienst. Die Musiker, mit denen er zu tun hatte, waren gleichzeitig Gegenstand seiner Observierung. Ich rückte meinen Stuhl ein wenig vom Tisch weg, als er das erzählte, und er quittierte diese Geste mit einem müden Lächeln.
    »Ich habe nichts Schlimmes getan. Meine Musiker waren meine Schützlinge. Ich habe keinen von ihnen verraten, und wenn mir etwas bekannt wurde, das einem von ihnen hätte schaden können, warnte ich denjenigen rechtzeitig.«
    »Pöh«, machte Karen.
    Er grinste. »Sie müssen mir nicht glauben. Aber nicht jeder, der etwas mit den Apparaten zu tun hat, ist ein schlechter Mensch. Manch einer nutzt diese Position, um Gutes zu tun.«
    »Und so einer sind Sie.«
    György Rákosi schüttelte bedächtig den Kopf. »Zwänge lassen sich von außen leicht verurteilen, aber nur schwer
be
urtei len .«
    »Ich komme aus der DDR«, sagte ich und verfluchte mich im gleichen Moment dafür.
    »Ich weiß. Falk Lutter, geboren im Oktober 1965 in Mittenwalde, Sohn von Klaus-Peter und Luise, Bruder von Sonja, zwangsweise umgezogen nach Dresden im Frühjahr 1967, Republikflucht mit der Mutter im Sommer 1980 über die österreichisch-ungarische Grenze.«
    Er ratterte das mit einer emotionslosen Routine herunter, die mich erschauern ließ. Gleichzeitig fragte ich mich, was der kinnbärtige Typ wohl noch von mir wusste.
    György nahm das nicht wahr oder ignorierte es. »Im Winter 1985 starb meine Frau an einer

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