Sommerhit: Roman (German Edition)
genug, um meiner mittelbaren Zukunft entspannt entgegenzusehen.
Die nahe Zukunft bestand aus einer Reise ins »Staatlich anerkannte Erhohlungsbad« Kühlungsborn, zusammen mit meinen Eltern.
Mein Vater saß auf dem Beifahrersitz, als ich meinen vier Monate alten Mercedes – selbstverständlich mit äußerst sattem Türgeräusch – auf der A24 in Richtung Hamburg beschleunigte. Sein Gesicht war für einen Moment grau geworden, als wir den Grenzübergang passiert hatten, aber jetzt lächelte er wieder, obwohl unsere Versuche, Sonja zu finden, bisher fruchtlos geblieben waren. Mama saß in der Mitte hinter uns, die Hände jeweils auf der rechten Schulter von mir und der linken von Klaus-Peter. Ich konnte sie im Rückspiegel ansehen. Sie strahlte, aber sie konnte auch nicht verbergen,dass sie Angst davor hatte, eine Sonja zu treffen, die von uns nichts wissen wollte – oder sie überhaupt nicht zu finden. Immerhin wäre es umgekehrt ein Leichtes gewesen. Wenn meine große Schwester, wo auch immer sie sich befand, ernsthafte Bemühungen unternommen hätte, mit uns Kontakt aufzunehmen, wäre das längst von Erfolg gekrönt gewesen, denn die Lutters in Berlin (West), jedenfalls Mama, waren leicht zu finden. Stattdessen fuhren wir zum dritten Mal an die Ostseeküste, nach ebenso vielen Versuchen, die Klaus-Peter und Luise in den vergangenen drei Monaten auf eigene Faust unternommen hatten – nach Rügen, Usedom, auf den Darß und in all diese Gegenden. Leider gab es kein Verzeichnis der FDGB-Heime, das man einsehen konnte.
Ich redete nicht darüber, was ich davon hielt, dass Sonja ihrerseits nichts unternahm. Ich glaubte, meine Eltern dachten ähnlich, aber ich wollte keine schlafenden Hunde wecken, wenn sie immer wieder das Foto aus dem Jahr 1986 von ihrer in seine Hand tauschten und zurück, stundenlang.
Am 16. November 1989 war ich mit Marko aus der Kieler Halle marschiert, um ein Taxi zu organisieren, während Minka noch ein kurzes Interview gab. Vor dem Bühnenausgang standen wie immer knapp zwei Dutzend Menschen, wenige Frauen und viele Männer mittleren Alters, die auf Minka warteten, um sich Autogramme geben zu lassen. Wir wurden ignoriert, ohne dass uns das störte, aber dann rief eine Männerstimme »Falk!«, wobei ich mich zu Markos Überraschung zur Seite drehte.
»Falk?«, fragte er grinsend.
»Das ist eine lange Geschichte.«
Ich sah mich um und entdeckte meine Mutter. Sie stand neben einem Mann, der so dünn war, dass es im Halbdunkel des Hallenparkplatzes fast so aussah, als lehnte sie sich an einen kurzen Laternenpfahl. Ich bekam eine Gänsehaut und spürtegleichzeitig, wie sich Tränen ankündigten. Sofort sah ich ihn vor mir, mit dem rot-weiß-karierten, ölverschmierten Handtuch in der Hand aus der Garage kommend, um die beiden Stasi-Männer zu begrüßen. Schlagartig hatte ich kein Problem mehr mit Erinnerungen an ihn.
Wir trafen uns auf halbem Weg, ich blinzelte die Tränen fort, aber auch die Gesichter meiner Eltern waren nass. Mama umarmte mich, mein Vater blieb stehen und schien auf etwas zu warten, ein Signal von mir.
»Ich bin dir nicht böse, war ich nie«, sagte ich und schloss den mageren Mann in die Arme. Er schluchzte laut, von irgendwo rief jemand meinen anderen Namen, vermutlich Minka. Schade aber auch, der dritte Abend kurz nacheinander ohne ihren Gitarristen. Es scherte mich nicht die Bohne.
Wir nahmen das Taxi, das Marko organisiert hatte, ließen uns zu einem Restaurant in der Altstadt bringen, das um diese Zeit noch warme Küche anbot. Mein Vater blieb instinktiv in der Tür stehen, um darauf zu warten, dass man ihm einen Tisch zuweisen oder ihn ruppig darauf aufmerksam machen würde, dass alles reserviert sei.
»So läuft das hier nicht, Papa«, sagte ich und stockte beinahe bei der Anrede.
Er trug neue Konfektionskleidung, die ihm meine Mutter gekauft hatte, aber für seinen schmächtigen Körper gab es keine passende Größe – er verlor sich in Hemd und Sakko wie ein Kinderfuß in einem Gummistiefel für Erwachsene.
»Was davon gibt es noch?«, fragte er, als die Kellnerin an den Tisch trat.
Sie zog die Stirn kraus. »Das, was auf der Karte steht.«
»
Alles
?«
»Natürlich. Warum sollten wir es sonst auf die Karte setzen?«
Er nickte langsam und studierte weiter das Menü. »Haben Sie Letscho?«, fragte er dann. Mama und ich lachten.
»Klaus-Peter, bestell einfach irgendwas. Sei sicher, es wird dir schmecken«, sagte sie.
Wir bekamen große
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