Sommerhit: Roman (German Edition)
präsentierte. Marko stand praktisch nackt vor dem mit Bandaufklebern übersäten Spiegel und hielt sich eine Art Netzhemd prüfend vor die Brust.
Ich lachte. »Mach dir keine Sorgen. Künstler sind Exhibitionisten.«
Minka hatte mich gehört. »Nur du nicht, oder,
Martin
?«
»Jedenfalls nicht auf diese Art.«
Wir gingen in eine der vielen Studentenkneipen Marburgs, nur Karen und ich. »Die Abnabelung geht aber schnell«, hatte Minka meine Ankündigung kommentiert, mich für diesen Abend zu verabschieden. »Das ist schon das zweite Mal in einer Woche.« Dann zwinkerte sie mir zu, hakte sich bei einem der Pressefritzen unter und zog ihn zur Tür.
»Es ist merkwürdig zu hören, wie dich jemand mit deinem Künstlernamen anspricht«, sagte Karen, die Rs zwar noch immer deutlich rollend, aber sie war dabei, sich Hochdeutsch anzutrainieren, wodurch sie sich wie jemand anhörte, der das mit
Fränkisch
tat. Wir saßen in einem großen, überfüllten und verrauchten lauten Laden, es war Freitagabend. Ich sah Karen an und hielt es noch immer für ein unglaubliches Wunder, sie wieder in meinem Leben zu haben.
»
Du
musst das natürlich nicht tun.«
»Seltsam«, sagte sie und zündete sich eine Zigarette an. Eine Studentin brachte unsere Drinks. »Irgendwie kommt es mir richtig vor, dass du jetzt auch anders heißt. Allerdings …«
»Ja, ich weiß. Martin Gold. Abgeschmackt, zu schlagermäßig, zu prätentiös.« Ich wiederholte die Argumente aus ihren Briefen, die sie mir vor vier Jahren geschrieben hatte. »Aber auch einprägsam, ohne Risiko der Falschschreibung. Es ist egal, was die Presse über dich sagt, Hauptsache, sie schreiben deinen Namen richtig«, zitierte ich, ohne zu wissen, von wem diese wahre Weisheit stammte.
Inzwischen, und auch das hatte ich Karen irgendwann geschrieben, fühlte ich mich mit diesem Namen wohler als mit dem alten – es half mir nicht nur dabei, mit der äußerlich neuen Person, zu der Falk Lutter geworden war, besser zurechtzukommen, es war weit mehr als das. Eine Metamorphose. Martin Gold war meine eigene Schöpfung, das Ergebnis einer Verpuppung, ein Kunstwerk und zugleich ich selbst, aber unter völlig veränderten Parametern. Ich empfand für mein Pseudonym – Mike und ich hatten es in einer langen, bierseligen Nachtsitzung erfunden – inzwischen fast ähnlich wie für mein neues Gesicht, das ich nach wie vor lange ansah, wenn ich in Hotels vor dem Badezimmerspiegel stand. Ich hoffte nur, dass ich mich nicht hinter einer Fassade versteckte, unbewusst.
Wir prosteten uns zu.
»Kann ich auch eine haben?« Ich griff nach Karens Zigarettenschachtel, die goldfarben lackiert und mit Prägeschrift versehen war –
Benson & Hedges
. Ich stellte mir vor, wie genau in diesem Augenblick Tausende Ostler – etwa zu dieser Zeit begann man damit, sie
Ossis
zu nennen – erstmals eine solche Packung in den Händen hielten, voll staunender Ehrfurcht darüber, welchen Aufwand man hier trieb, um ein paar getrocknete und feingeschnittene Blätter eines Nachtschattengewächses aus derselben Familie, aus der auch Tomaten und Kartoffeln stammten, etwas Papier und ein Stückchen Watte zu verpacken – Warenwert insgesamt pro Stück maximal drei Pfennige,
West
.
»Du rauchst?«
»Selten. Hin und wieder nach Auftritten, und in solchen Kneipen wie dieser hier. Es lenkt meine Nase ab.«
Das tat es wirklich, aber die ersten Züge waren immer die Hölle.
»Du riskierst deine Gesangskarriere, bevor sie begonnen hat.«
Ich lachte kurz und kämpfte den Hustenreiz nieder. »Wenn du wüsstest, wie viele Sänger heimlich Kette rauchen. Ganz zu schweigen von dem, was sie sonst noch zu sich nehmen.«
»Entschuldigung?«, fragte eine männliche Stimme.
Ein Mann im hellgrauen Anzug stand an unserem Tisch, vielleicht Mitte, Ende vierzig, nicht sehr groß, schlank, mit wässrig-blauen Augen, einem kleinen, sorgfältig zum Dreieck geschnittenen Kinnbart und aschgrauer Kurzhaarfrisur. Er lächelte freundlich.
»Bitte?«, fragte Karen.
Er sah mich an. »Sie sind Martin Gold, der Gitarrist von Minka.« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Seine Stimme war etwas schnarrend, und obwohl er fehlerfrei sprach, gab es einen deutlichen Akzent.
Ich nickte.
»Mein Name ist György Rákosi.«
»Rákosi?«, platzte Karen heraus. »Wie Mátyás Rákosi?
Stalins bester Schüler
?«
Ich starrte sie verdattert an. »Wer?«
»Ich habe Biologie
und
Geschichte studiert, lieber Falk.«
Der Mann, der immer noch
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