Sommerkind
Zack warten und die Arbeit mit ihm zusammen erledigen können, doch er wollte so schnell wie möglich wieder Sonnenlicht ins Poll-Rory lassen. Glücklicherweise hatte der Sturm keine schweren Schäden angerichtet. Nur das Dach hatte einige kahle Stellen, über denen er neue Schindeln würde auslegen müssen, und ein vom Strand heraufgewehtes Stück Treibholz hatte die Hausverkleidung ein Stück weit aufgerissen. Doch davon abgesehen war das Poll-Rory in bestem Zustand.
Auf dem Küchentresen blinkte der Anrufbeantworter. Das Telefon funktionierte also auch wieder; kurz bevor er am Morgen aufgestanden war, hatte er wieder Strom gehabt. Das Gerät zeigte zwei Nachrichten an. Die erste von Zack, der ihm mitteilte, dass er am Nachmittag nach Kill Devil Hills zurückkäme. Die zweite von Cindy Trump.
“Steht unsere Verabredung für heute noch, Rory?”, fragte sie. “Ich weiß nicht, ob du schon zurück bist – du musstest dein Haus ja sicher räumen. Aber ich bin da, falls du dich noch immer mit mir treffen willst. Du brauchst mich nicht anzurufen. Komm einfach vorbei, wenn du kannst. Ich bin eh den ganzen Tag hier und räume auf.”
Er hatte seine Verabredung mit Cindy völlig vergessen und war froh über die Erinnerung und die Tatsache, dass er sie treffen konnte.
Gerade als er den Anrufbeantworter ausschaltete, klingelte das Telefon. Er nahm ab.
“Rory?”
“
Grace”
, sagte er. “Es tut mir leid, dass ich nicht im Motel war. Wir sind letztlich doch hiergeblieben.”
“Ich habe mich schon gefragt, was passiert ist, und gebetet, dass es euch allen gut geht.”
“Es ist alles in Ordnung. Als der Sturm direkt über uns war, kam er uns heftiger vor, als er am Ende tatsächlich war. Zumindest hat er in unserer Straße kaum Schäden angerichtet. Bist du in Rodanthe? Wie sieht es dort aus?”
“Einige der Häuser am Wasser wurden schwer gebeutelt”, erzählte Grace. “Aber unserem … meinem Haus ist nichts passiert. Warum seid ihr denn dortgeblieben?”
“Das ist eine lange Geschichte.” Er hatte das Gefühl, die Geschehnisse der vergangenen Nacht hätten sich nicht bloß über wenige Stunden, sondern über Tage hinweg ereignet. “Shelly hatte Angst, die Outer Banks zu verlassen. Und als wir aufbrechen wollten, konnten wir sie nicht finden.”
“Oh Gott. Wo war sie? Geht es ihr gut?”
“Wir haben überall gesucht, in den leeren Cottages und am Strand. Schließlich mussten wir aufgeben, und Daria war sehr besorgt.”
“Das kann ich mir vorstellen.”
“Dann fiel der Strom aus und die Telefone funktionierten nicht mehr.” Er erinnerte sich an das Geständnis, das Chloe ihnen gemacht hatte. Das würde er auslassen. “Dann ist plötzlich Darias Kollege, Andy, aufgetaucht und sagte uns, das Boot seines Nachbarn wäre kopfüber auf den Steg gespült worden und dessen Frau und kleiner Sohn säßen darunter fest. Also sind Daria und ich hingefahren, um zu helfen.” Noch immer hatte er das Bild von Daria deutlich vor Augen, wie sie sich unter das Boot warf, um den kleinen Jungen zu retten. “Dort haben wir dann auch Shelly getroffen. Es hat sich herausgestellt, dass schon seit einiger Zeit etwas zwischen ihr und Andy läuft.”
Grace war einen Moment lang still. Vermutlich, um das Gesagte zu verarbeiten.
“Wie, da läuft was? Du meinst, sie sind zusammen?”
“Ich weiß nicht, ob das der richtige Ausdruck ist. Aber offensichtlich sind sie mehr als bloß Freunde. Wir konnten nicht darüber sprechen. Es ging alles viel zu turbulent zu da draußen, und wir waren zu beschäftigt damit, die Leute aus der Bootsfalle zu befreien und in die Notaufnahme zu begleiten.”
“Geht es ihnen gut?”
“Nach meinem Stand der Informationen ja.”
“Rory … könnten wir uns morgen treffen? Bei dir?”
Zum ersten Mal löste die Vorstellung, sie zu sehen, keine Begeisterungsstürme in ihm aus. Er war mit den Gedanken immer noch bei Daria. Sein Magen krampfte sich zusammen, als er an ihr Liebesgeständnis dachte. Ihre Worte hatten ihn überrascht, und er hatte sich schuldig gefühlt. Als hätte er sie ausgenutzt. Er hatte immer gedacht, Daria sei der Typ Frau, den man nicht ausnutzen konnte. Eine Frau, die niemals etwas tun würde, was sie nicht gänzlich unter Kontrolle hatte. Sie wirkte so unverletzbar, so unabhängig und stark, dass ihm ihr Bedürfnis nach Nähe vollkommen entgangen war. Und erst recht ihre Sehnsucht nach ihm. Sein Körper hatte auf ihren Kuss mit sofortiger Erregung reagiert, und es
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