Sommerkind
“Was wird sie machen?”
“Ich weiß es nicht”, antwortete Daria. “Sie will Andy heiraten und das Kind behalten. Aber ich weiß nicht, wie das gehen soll.”
“Wie … wie weit ist sie denn schon?” Er dachte an Shellys schlanke Figur. “Sie kann doch noch nicht lange schwanger sein.”
“Erst seit wenigen Wochen.”
“Dann ist also noch Zeit, um …”
“Ja.” Sie seufzte, als wäre sie der Diskussion überdrüssig. “Es ist noch Zeit.”
Er zögerte. “Sieh mal, ich fahre gleich nach Corolla und treffe mich mit Cindy Trump. Magst du mitkommen?”
Sie schüttelte den Kopf. Noch immer liefen ihr die Tränen über die Wangen. Rory trocknete sie mit seinen Fingern und stand auf.
“Also dann, bis später”, sagte er. “Mach's gut.”
Die Strandstraße war übersät von Schildern, Brettern und den Ästen junger Bäume. An einigen Stellen hatte sich das Wasser gesammelt, und die unzähligen Heimkehrer verstopften die Straße. Die Gegend um Corolla war wie rein gewaschen, und die riesigen Häuser der Stadt erstreckten sich von der Straße bis zum Meer. Das hier waren richtig große Häuser, keine kleinen Cottages. Viele konnte man beinahe als Villen bezeichnen.
Er folgte der Beschreibung, die Cindy ihm auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte, und fand ihr Haus ausgerechnet in einer Sackgasse. Er fuhr in die Auffahrt und musste auf dem Weg zu ihrer Haustür einen entwurzelten Baum umgehen. Noch ehe er klopfte, ging die Tür auf, und Cindy Trump stand in einem orangefarbenen Bikini vor ihm. Sie sah noch fast genauso aus wie vor zweiundzwanzig Jahren.
“Rory!” Sie trat einen Schritt zurück, um ihn hereinzulassen, und umarmte ihn dann. “Ich kann es kaum glauben. Du siehst ja noch besser aus als im Fernsehen.”
“Danke. Und du hast dich kein bisschen verändert.” Die Worte klangen zwar abgedroschen, doch er meinte es ehrlich. Von all den ehemaligen Bekannten aus der Sackgasse, denen er bisher begegnet war, hatte Cindy sich am wenigsten verändert. Sie war sonnengebräunt, schlank, blond und machte noch immer eine gute Figur im Bikini. Sie erinnerte ihn an die Frauen aus Hollywood, und er fragte sich, ob sie dem Schönheitschirurgen wohl schon den einen oder anderen Besuch abgestattet oder einfach nur gute Gene hatte.
Sie führte ihn auf die steinerne Veranda hinter dem Haus und reichte ihm ein Glas Eistee. “Entschuldige den Lärm”, sagte sie und zeigte zu dem Haus auf dem Grundstück hinter ihr, wo Dacharbeiter die Sturmschäden reparierten. “Normalerweise ist es hier ganz ruhig.”
Rory betrachtete das beschädigte Haus und musste an den Tag denken, als er Daria auf einem Dach hatte arbeiten sehen. Zwar waren diese Arbeiter allesamt männlich, doch vor seinem geistigen Auge sah er Daria dort oben und verspürte dasselbe Verlangen, das ihn am Abend zuvor in solche Schwierigkeiten gebracht hatte.
“Wurdet ihr evakuiert?”, erkundigte er sich, als er an dem Glastisch Platz nahm.
“Nein. Wir wohnen weit genug vom Strand entfernt, und dieses Haus kann sowieso nichts wegpusten.”
Glücklicherweise fragte sie ihn nicht, ob er die Outer Banks verlassen hatte, denn er hätte keine Lust gehabt, von den Ereignissen der letzten Nacht zu berichten.
Cindy war eine Plaudertasche. Sie erzählte ihm von ihrem Mann, einem Immobilienmakler, und ihren zwei Jungen, die beide am Anfang ihres Teenagerdaseins standen. Während sie einander kurz ihr Leid über Jungen in der Pubertät klagten, suchte er in ihrem Gesicht nach Ähnlichkeiten mit Shelly. Er fand keine. Er musste zugeben, dass es außer der Haarfarbe keine gab.
Dann nannte er ihr den Grund seines Besuchs: Er stelle Nachforschungen über Shellys Vergangenheit an und wolle herausfinden, wer ihre Eltern waren.
“Und”, fragte er, “wer könnte
deiner
Meinung nach Shellys Mutter sein?”
Cindy lachte und schlug ein langes braunes Bein über das andere. “Na, ich natürlich. Das hat damals doch jeder gedacht, oder?”
Er lächelte. “Na ja, du warst im richtigen Alter, und euer Cottage lag der Fundstelle am nächsten”, meinte er, als wären das die einzigen Faktoren, die sie verdächtig gemacht hatten.
“Du bist wirklich sehr höflich, Rory. Cindy
Tramp.
So habt ihr mich doch damals alle genannt.”
“Vielleicht einige von uns”, sagte er versöhnlich, doch an Cindys Lächeln erkannte er, dass sie ein dickes Fell hatte.
“Auf jeden Fall kann ich dir versichern, dass ich nicht Shelly Catos Mutter bin. Obwohl ich
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