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Sommerkind

Sommerkind

Titel: Sommerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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ausgesucht.
    Auf dem Tisch in der Essecke entdeckte Daria einen Computer, um den herum Papiere und Bücher verstreut lagen.
    “Sieht aus, als würdest du arbeiten”, vermutete sie.
    “Arbeiten und spielen”, erwiderte Rory. “So sieht meine Sommerplanung aus.” Die Hände in die Hüfte gestemmt taxierte er sie. Wahrscheinlich war ihr Haar wieder mit Sägespänen geschmückt, und außerdem hatte sie Farbe auf ihrem weißen T-Shirt und einen Lackfleck auf der Wange.
    Sie blickte ihm fest in die Augen. “Ich muss mit dir über Shelly reden”, sagte sie und verspürte im nächsten Moment auch schon den Drang, sich zu entschuldigen. Da war er extra den weiten Weg von Kalifornien hierhergekommen, um Shellys Geschichte auf den Grund zu gehen, und sie wollte seine Recherche stoppen, bevor er überhaupt damit begonnen hatte.
    Er musste ihren sorgenvollen Blick bemerkt haben, denn sein Lächeln verschwand. “Das sieht ja ganz nach einer ernsthaften Wir-setzen-uns-besser-Unterhaltung aus. Lass uns auf die Dachterrasse gehen.”
    Sie folgte ihm zur Hintertür und die Stufen hinauf zur Terrasse, von wo aus sie auf den Ozean und die Bucht blickten. Ein fast so schöner Ausblick wie vom Witwensteg des Sea Shanty.
    “Ich würde dir gern etwas zu trinken anbieten”, sagte Rory, “aber alles, was ich noch da habe, ist Leitungswasser und Milch. Zack hat die gesamte Limonade ausgetrunken. Ich hatte ganz vergessen, wie viel Jungs in seinem Alter verdrücken können.”
    Daria saß in einem bequemen Holzstuhl und setzte trotz des dämmrigen Lichts ihre Sonnenbrille wieder auf. Sie wünschte, auch Rory würde seine grünen Augen hinter einer Brille verstecken, denn in seinem Blick lag etwas, was ihr schon als Mädchen weiche Knie gemacht hatte. Und es wirkte auch heute noch.
    Nach anfänglichem Geplauder über Zack, den herrlichen Ausblick und die Veränderungen, die in Kill Devil Hills während der letzten Jahre vor sich gegangen waren, kam sie zum eigentlichen Grund ihres Besuchs.
    “Ich weiß, dass Shelly dich gebeten hat, Nachforschungen über ihre Vergangenheit anzustellen”, begann Daria. “Nur ist das wirklich keine gute Idee. Du verstehst das vielleicht nicht, aber Shelly ist nicht …”, sie suchte nach den richtigen Worten, “… wie andere. Ich weiß, sie wirkt ganz normal. Sie ist hübsch und hat einen wundervollen Charakter, aber …”
    “Ich glaube, ich verstehe sehr gut, was du meinst”, unterbrach er sie. “Es ist mir gleich bei unserem Treffen neulich aufgefallen. Hat sie bei ihrer Geburt eine Gehirnschädigung oder so was erlitten?”
    Seine schnelle Auffassungsgabe überraschte Daria. Sie hatte nicht gedacht, dass Shellys Problem so offensichtlich war. Sie nickte. “Ja, das vermutet man. Ihr IQ liegt im unteren Durchschnitt. Zudem hatte sie in der Schule mit einer ausgeprägten Lernschwäche zu kämpfen. Und sie leidet an Epilepsie, die man trotz medikamentöser Behandlung nicht richtig in den Griff bekommt. Sie darf keinen Führerschein machen, weil sie noch nie ein komplettes Jahr lang anfallsfrei war. Und genau das wäre die Voraussetzung.” Sie ließ ihren Blick zum Sea Shanty schweifen, doch der einzige sichtbare Teil war der Witwengang hoch oben auf dem Dach. “Außerdem ist sie etwas phobisch”, fuhr sie fort, “und sehr auf mich fixiert. Als Mom gestorben ist, war plötzlich ich für sie verantwortlich. Sie war damals erst acht und ich neunzehn. Heute bekommt sie Angst, wenn ich nicht in ihrer Nähe bin.”
    “Wieso hattest du die Verantwortung?” Rory war erstaunt. “Was war mit deinem Dad? Er lebte damals doch noch.”
    “Ja, aber sich um Shelly zu kümmern hätte ihn überfordert. Und sie brauchte eine Frau. Eine Mutter.”
    “Und Chloe? Sie war die Älteste. Warum hat sie dir nicht geholfen?”
    Jeder stellte diese Frage, und Daria hatte sich eine Standardantwort zurechtgelegt. “Chloe hatte damals schon ihr Gelübde abgelegt und war Ordensschwester in Georgia. Sie konnte wirklich nicht viel tun.”
    “Was hast du gerade damit gemeint: Shelly ist phobisch?”
    “Sie fürchtet sich vor vielen Dingen – vor Erdbeben oder Schlangen zum Beispiel, obwohl sie keins von beidem je erlebt oder gesehen hat. Aber am meisten hat sie Angst davor, die Outer Banks zu verlassen.
Krankhafte
Angst.” Daria war sich nicht sicher, wie sie das erklären sollte. Jahrelang hatte sie vergeblich versucht, den Ärzten und Lehrern Shellys Ängste begreiflich zu machen. “Shelly ist nur glücklich,

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