Sommerkind
klar, dass sie das machen, weil ich berühmt bin, und nicht, weil sie an mir als Mensch interessiert sind. Aber das macht Grace umso interessanter für mich. Sie ist so … zerbrechlich. Ist dir das auch aufgefallen?”
In der Tat. Ihr war nicht entgangen, dass Graces Hände gezittert hatten, und manchmal auch ihre Stimme. Sie hatte sie beim Essen zum ersten Mal aus der Nähe gesehen und musste zugeben, dass sie auf ihre blasse Art wirklich hübsch war.
“Ja, ist es, Mr. Beschützer”, frotzelte sie. “Hast du sie mittlerweile nach ihrer Krankheit gefragt?”
“Nein. Ich denke, sie wird mir davon erzählen, wenn sie so weit ist.”
“Ihr zwei müsst miteinander reden. Es hört sich nicht so an, als würdet ihr viel kommunizieren.”
Rory schwieg. Er blickte nach unten auf seine Hände, als inspizierte er sie im Verandalicht. Daria hätte sie gern berührt, wäre mit den Fingerspitzen gern die Linien seiner Handfläche entlanggefahren und ihnen bis zum Handgelenk gefolgt.
“Ich hatte den Eindruck, Zack hat sich gut mit Shelly verstanden”, sagte er unvermittelt.
“Das glaube ich auch.”
“Shelly ist toll mit ihm umgegangen. Aber kaum waren wir zu Hause, ist er noch vor Grace aus dem Auto gesprungen und mit Kara zum Minigolfplatz gegangen.” Er schüttelte den Kopf. “Die zwei bereiten mir Sorgen.”
“Warum?”
“Ich weiß nicht genau. Kara macht irgendwie einen frühreifen Eindruck auf mich.”
Daria lachte. “Wieso denn das?”
“Na ja, du weißt schon. Wie sie sich anzieht. Das Bauchnabelpiercing. Die blondierten Haare. Zu viel Augen-Make-up.”
“Glaubst du vielleicht, Zack ist noch Jungfrau?”
Rory sah sie entgeistert an. “Natürlich”, behauptete er dann. “Er ist doch erst fünfzehn. Jetzt mach mich nicht schwach.”
“Die Fünfzehnjährigen von heute sind ganz anders als wir damals”, meinte Daria.
Rory sagte nichts.
“Hast du schon mal mit ihm darüber gesprochen? Ich meine, hattet ihr jemals ein offenes Vater-Sohn-Gespräch?”
“Nein. Aber ich wünschte, wir hätten.” Rory stöhnte und bettete den Kopf in seine Hände. “Ich schätze, ich muss mit ihm über Sex und Verantwortung sprechen. Ich habe gehofft, das hätte noch Zeit. Er und ich können noch nicht mal über das Abendessen sprechen, wie also über Sex?”
“Vielleicht sprichst du mal mit ihm, wenn ihr etwas zusammen unternehmt. Beim Sport kommt man an Männer immer noch am besten ran. Das müsstest du doch wissen.”
“Bist du auch so, jetzt, wo du ständig mit deinen Kumpels zusammen bist?”
“
Ich
bin immer noch eine Frau.” Sie war getroffen.
Er schenkte ihr ein Lächeln. “Das ist mir nicht entgangen. Vor allem heute Abend im Restaurant. Du hast dich wirklich hübsch zurechtgemacht.”
“Danke”, sagte sie ironisch. Das war vermutlich das größte Kompliment, das sie von ihm hören würde.
“Wie war das bei Shelly? Hat sie jemals rebelliert? Hattest du Probleme mit ihr, als sie in Zacks Alter war?”
“Shelly war sehr umgänglich. Wir sind nur ein paar Mal aneinandergeraten, als ich sie und diese Typen auseinandergebracht habe. Da hat sie mich angeschrien. Sie hat geweint und war traurig. Das war's mit Shellys Rebellentum.”
Die Sackgasse wurde von zwei Lichtkegeln erhellt, und ein Auto steuerte auf das Sea Shanty zu.
“Das ist Chloe”, bemerkte Daria. “Ist wohl spät geworden in St. Esther's.”
Chloe fuhr in die Auffahrt und stieg aus. Daria und Rory sahen die Überraschung in ihrem Gesicht, als sie sie erspähte.
“Oh, hallo”, begrüßte sie sie ohne ein Lächeln, und Daria wusste, dass es an Rory lag. Chloe wünschte sich, Rory wäre in Kalifornien geblieben. Dennoch setzte sie sich neben ihre Schwester auf die Stufen und bemühte sich, freundlicher zu schauen. “Wie war das Essen?”, fragte sie.
“Sehr schön”, antwortete Rory. “Hier wurden in den letzten zwanzig Jahren wirklich ein paar hervorragende Restaurants eröffnet.”
“Ja”, stimmte Chloe ihm zu. “Verhungern wird man hier nicht.”
Chloes Stimme klang gepresst, und Daria konnte das Unbehagen ihrer Schwester förmlich spüren. Da musste noch etwas sein, was sie beunruhigte. Daria legte eine Hand auf Chloes Arm.
“Was ist los?”, fragte sie leise, doch Chloe drückte nur beschwichtigend ihre Hand.
Rory schien Chloes Drangsal nicht zu bemerken. “Ich weiß, du bist nicht gerade davon begeistert, dass ich der Sache nachgehe”, sagte er zu ihr, “aber du bist ein wichtiger Mensch in
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