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Sommerkind

Sommerkind

Titel: Sommerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Chamberlain
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wandte Daria sich ab, doch selbst mit geschlossenen Augen sah sie noch den flehenden Blick dieser jungen Frau.
    “Tut mir leid, Dar.” Mike, der mit einem der Rettungswagen gekommen war, reichte ihr eine Decke. “Wir übernehmen jetzt. Brauchst du ein Formular für deinen Einsatzbericht?”
    Papierkram. Wie konnte Mike ausgerechnet jetzt daran denken? “Ich habe welche im Auto”, antwortete sie mechanisch. Bei dem Versuch, sich die Decke enger um den Körper zu wickeln, streikten ihre eiskalten Finger, und Mike half ihr.
    “Du bist unterkühlt”, sagte er. “Geh schnell ins Warme.” Er ging zurück zum Rettungswagen, und sie entfernte sich langsam von dem Schauplatz. Sie fühlte sich benommen und schwindelig. Wo war Pete? Wo Shelly und Andy? Die Luft brannte beim Ein- und Ausatmen wie Feuer in ihrer Brust, und ihre Kehle war durch das übergroße Bedürfnis zu weinen wie zugeschnürt. Mitten in der Menge erblickte sie einen Mann, der Andy gerade einen Stapel Handtücher in die Arme drückte. Der gab ein paar davon weiter an Shelly, die direkt neben ihm stand. Sie presste sich die Handtücher an die Brust, und selbst im spärlichen Licht der Rettungswagen konnte Daria ihr heftiges Zittern sehen.
    “Brauchen Sie auch welche?” Eine Frau kam zu Daria und legte ihr einige Handtücher in die Arme.
    “Danke”, murmelte Daria. Dann drehte sie sich wieder um, immer noch auf der Suche nach Pete. Schließlich fand sie ihn. Er stand nur wenige Meter von ihr entfernt mit dem Rücken zu ihr. An der Art, wie er sich übers Wasser beugte, erkannte sie, dass er sich übergab. Sie ging zu ihm hinüber und legte ihm eines der Handtücher um die Schultern. Er zitterte unkontrolliert und sah sie nicht an. Nicht einmal, als sie ein neues Handtuch nahm und ihm den Mund abwischte.
    Sie spürte sein Bedürfnis nach dem Alleinsein, danach, keine Fragen beantworten und sich keine leeren Mitleidsfloskeln anhören zu müssen. Also rubbelte sie durch das Handtuch hindurch nur seinen Rücken und ließ ihn zu Boden starren. Sein Atem ging unregelmäßig.
    Endlich sah er sie an. Er warf ihr einen flüchtigen Blick zu, ehe er aufs Meer hinausschaute. Die barmherzige Dunkelheit hatte das Flugzeug verschluckt. “Weißt du, was da draußen passiert ist?”, fragte er.
    Die Frage verwirrte sie. “Meinst du … Ich verstehe deine Frage nicht.”
    Er sah ihr jetzt direkt in die Augen, sein Blick war kalt. “Weißt du, warum ich Shelly so angeschrien habe?”
    Sie schüttelte den Kopf. “Nein, keine Ahnung.”
    “Deine Schwester”, sagte er langsam und wohlüberlegt, “hat sich auf den Propeller gelehnt, um ins Flugzeug hineinsehen zu können. Deshalb ist es so schnell untergegangen. Deshalb ist die Pilotin jetzt tot.”
    Daria fehlten die Worte. “Aber als ich mich umgedreht habe, hat sie nur Wasser getreten. Sie hat versucht, dem Flugzeug Auftrieb zu geben.”
    “
Nachdem
ich sie angeschrien habe, ja.”
    “Ja”, gab Daria zu. Sie war starr vor Entsetzen, und das Gewicht der Worte hing wie Blei an ihr. “Das glaube ich nicht”, sagte sie. Shelly hatte doch sicher gewusst, dass sie alles nur noch schlimmer machen würde, wenn sie sich auf den Propeller stützte.
    “Glaub's einfach”, sagte Pete kühl. “Ich war so nah dran”, er hielt Daumen und Zeigefinger einen Zentimeter auseinander. “Fast hatte ich diese Frau – dieses
Mädchen
– befreit, doch dann ging das Flugzeug unter. Shelly besitzt keinen gesunden Menschenverstand.”
    “Oh Gott. Das ist furchtbar.” Daria dachte an den Einsatzbericht, den sie zu dem Unfall würde schreiben müssen, und an die Einsatzbesprechung am nächsten Tag. Wie sollte sie das Geschehen bloß erklären? Es würde Shelly umbringen, wenn sie wüsste, welche Rolle sie beim Tod der Pilotin gespielt hatte.
    Pete schien angesichts Darias Bedrängnis weich zu werden. Er nahm sie in den Arm. “Sieh mal”, begann er. Den Blick hatte er wieder aufs Meer gerichtet, und Daria konnte das Spiel seiner Kiefermuskulatur sehen. “Niemand weiß, was da draußen geschehen ist. Nur du und ich. Shelly hat keinen blassen Schimmer, was sie angerichtet hat, und ich glaube nicht, dass Andy etwas mitbekommen hat. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Flugzeug sowieso gesunken wäre”, gestand er mit einem Schulterzucken ein. “Und vielleicht wäre die Pilotin so oder so gestorben. Ich finde, wir sollten die Sache für uns behalten.”
    “Aber ich muss den Bericht schreiben”, protestierte

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