Sommerkind
Passagierin hatte auch sie eine Kopfverletzung. Sie verlief quer über die Stirn und blutete heftig. “Gleich bist du draußen”, beruhigte Daria sie, während sie ihr T-Shirt auszog und es dann gegen den Kopf der Frau presste. Es war eine Lüge, aber eine notwendige. Das Wasser reichte der Frau bis zur Taille, und Petes Arme waren unter Wasser, als er sich aus dem Boot lehnte und am Gurt der Pilotin zerrte.
“Der Türrahmen hat sich irgendwie verbogen”, sagte er leise zu Daria. “Und jetzt klemmt der Gurt fest. Mist, ich kann überhaupt nicht sehen, was ich hier mache.”
“Ich bin im Wasser, Pete”, rief Shelly. “Vielleicht schaffe ich es von hier unten.”
“Du bist mir nur im Weg, Shelly”, blaffte Pete sie an, und für ein paar Sekunden empfand Daria ihm gegenüber nichts als Hass. Das war also der Mann, den sie schon bald heiraten wollte? In diesem Moment konnte sie es sich beim besten Willen nicht vorstellen.
“Ob sie überhaupt schon einen Flugschein hat, so jung, wie sie aussieht?”, meinte Andy.
“Vom Boot aus können wir nichts ausrichten”, sagte Daria. Sie hatte Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten, und die Hand, mit der sie das T-Shirt auf die Wunde der Frau presste, rutschte immer wieder ab.
“Nein. Und rausziehen können wir sie so auch nicht”, fügte Pete hinzu. “Wir müssen ins Wasser.”
Daria bemerkte, dass das Flugzeug allmählich sank und das Meerwasser am Körper der Pilotin emporkroch.
“Andy”, befahl Pete, “du bleibst im Boot. Sorg dafür, dass es dicht am Flugzeug bleibt. Und halt die Augen nach Tanklecks offen.” Dann zog er seine Shorts aus und sprang ins Wasser.
Daria tat es ihm gleich. Das Wasser nahm ihr den Atem, so kalt war es. “Hast du nicht gesagt, es ist nicht kalt?”, sagte sie zu Shelly und zog sich dabei näher an das Flugzeug heran.
“Du gewöhnst dich daran”, antwortete ihre Schwester mit klappernden Zähnen.
“Es sinkt ziemlich schnell”, stellte Andy fest.
“Verdammt noch mal! Wir brauchen ein Messer!”, fluchte Pete. Dann tauchte er unter und bemühte sich, den Gurt freizubekommen. Daria wusste um die Aussichtslosigkeit seiner Anstrengung. Bei der Dunkelheit würde er unter Wasser nichts sehen können. Sie gab sich alle Mühe, den Druck auf der Stirn der Pilotin nicht zu verringern und zugleich mit ihrem Körper außerhalb des Flugzeugs zu bleiben, um Pete nicht in die Quere zu kommen. Sie fragte sich, wie lange die Pilotin in dem kalten Wasser überleben würde. Wie lange jeder Einzelne von ihnen überleben würde …
“Shelly, Andy”, prustete Pete, als er auftauchte, um Luft zu holen. “Dieses Ding sinkt wie ein Anker. Tut alles, was ihr könnt, um es über Wasser zu halten, während Daria und ich versuchen, sie da irgendwie rauszuholen.”
“Alles klar.” Andy umschiffte das Flugzeug mit dem Boot, um zu dem beschädigten Schwimmkörper zu gelangen. Währenddessen schwamm Shelly zur Flugzeugnase, die sich bereits unter der Wasseroberfläche befand, und drückte sie mit ganzer Kraft ein Stückchen nach oben. Daria warf einen Blick über die Schulter zum Strand. Hoffentlich kommt bald jemand mit Werkzeugen, betete sie.
Die Augen der Pilotin waren jetzt offen. Weit aufgerissen. Die junge Frau blickte angestrengt in Darias Augen. Daria bemühte sich indes weiter, das T-Shirt auf die Wunde zu pressen. Nur einmal wagte sie, es für einen Augenblick anzuheben, und da lief auch schon das Blut über das Gesicht der verängstigten Frau. Sie konnte nicht einschätzen, wie viel die Pilotin von dem Treiben um sie herum mitbekam. Ob sie realisierte, dass sie in Lebensgefahr schwebte? Sie sagte nicht einen Ton, doch ihre Augen waren angsterfüllt.
“Keine Sorge”, versuchte Daria sie zu beruhigen. “Wir holen dich hier raus. Alles wird gut.”
Pete tauchte wieder auf und schleuderte mit einer schnellen Kopfbewegung die Haare aus seinem Gesicht. “Vielleicht komme ich von der anderen Seite besser an sie ran”, keuchte er.
“Ich habe schon versucht, die Tür hier drüben zu öffnen”, rief Andy ihnen zu. “Fehlanzeige.” Er war außer Atem. Daria blickte hinüber zu ihrer Schwester, um sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Shelly befand sich direkt vor dem Propeller und trat Wasser, ihre Hände verschwanden unter der Flugzeugnase im Wasser. Ihre Kraft schien nicht nachzulassen.
Die Pilotin stieß einen dünnen Schrei aus. Das Wasser hatte nun ihre Brust erreicht, und Daria wurde kurz von Panik gepackt.
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