Sommerkind
uns lebt, und …”
“Sie würde nie im Leben nach Raleigh gehen.”
“Ich weiß, ich weiß. Aber rein hypothetisch. Sagen wir, ich wäre damit einverstanden, dass sie bei uns wohnt, und wir bekommen irgendwann Kinder. Nach dem heutigen Vorfall könnte ich sie niemals ruhigen Gewissens mit den Kindern allein lassen.”
Das ist doch lächerlich, dachte Daria. Shelly ist doch keine Gefahr für die Allgemeinheit. Und außerdem: Nach all dem, was heute passiert war – wie sollte sie da mit ihm diskutieren?
“Sieh mal, Daria”, hob Pete mit einem weiteren Seufzer an. “Ich wollte dir nie ein Ultimatum stellen. Aber je mehr ich darüber nachdenke, und vor allem nach dem heutigen Tag, umso mehr habe ich das Gefühl, etwas mehr Druck machen zu müssen. Ich will diesen Job in Raleigh wirklich. Und ich will dich wirklich heiraten. Aber wenn du nicht mit mir – und ohne Shelly – nach Raleigh gehen willst, weiß ich nicht, wie das funktionieren soll.”
Einen Moment lang war sie still. “Willst du damit sagen … du beendest deswegen unsere Beziehung? Nach fast sechs Jahren?”
“Ich sehe einfach keinen anderen Ausweg”, gestand Pete. “Du lässt mir keine andere Wahl, als im Sea Shanty oder irgendwo anders auf den Outer Banks zu leben. Mit dir und Shelly. Aber ich will
dich
heiraten, Daria. Nicht Shelly. Und ich brauche den Job in Raleigh. Ich kann in meinem jetzigen Beruf nicht ewig arbeiten. Allein körperlich nicht. Ich will diesen Verwaltungsjob.”
Wenn er es so darstellte, hatte sie das Gefühl, ihre Forderungen seien unzumutbar. Aber trotzdem, unzumutbar hin oder her – sie konnte ihm seinen Wunsch nicht erfüllen. Zum zweiten Mal an diesem Tag schnürten ihr unvergossene Tränen die Kehle zu.
“Ich liebe dich”, sagte sie. “Aber ich kann nicht tun, was du von mir verlangst.”
“Mensch, Daria!”, explodierte Pete plötzlich. “Du lebst dein Leben nur für Shelly. Ihre Bedürfnisse stehen immer –
immer
– an erster Stelle. Nie stellst du meine Bedürfnisse – geschweige denn deine
eigenen
– vor ihre.”
“Pete …”
“Ich muss der Wahrheit endlich ins Gesicht sehen.” Sie hörte die Wut in seiner Stimme. “Ich wünsche dir Glück, Daria. Viel Glück für dein weiteres Leben.”
Dann war die Leitung tot, und Daria brauchte ein paar Sekunden, ehe sie den Hörer auf die Gabel legte. Warum war ihr nur nicht nach Weinen zumute? Wieso verspürte sie diese seltsame Erleichterung? Sie war es so dermaßen leid, sich mit Pete über Shelly zu streiten.
“Daria?” Zaghaft öffnete Shelly Darias Zimmertür einen Spalt. “Schläfst du?”
“Nein. Komm rein”, antwortete Daria und setzte sich auf.
“Ich kann nicht schlafen.” Im Nachthemd und mit offenen Haaren kam Shelly herein.
“Ich auch nicht.” Daria rückte ein Stück, um ihrer Schwester auf dem breiten Bett Platz zu machen.
“Wegen der Pilotin?”, fragte Shelly.
“Ja.”
Unter anderem.
“Ich muss die ganze Zeit daran denken, wie sie gestorben ist. Wie grausam ihr Tod war.”
“Ja, das war er”, stimmte Daria ihr zu.
“Wie alt war sie?”
“Ich meine gehört zu haben, dass sie achtzehn war.”
“Achtzehn.” Shelly blinzelte, und Daria konnte im Mondlicht Tränen in ihren Augen glitzern sehen. “Drei Jahre jünger als ich. Das ist einfach nicht gerecht.”
“Ich weiß. Viele Dinge im Leben sind nicht gerecht.”
“Ich wünschte, ich wäre an ihrer Stelle gewesen.”
Darias Alarmglocken schrillten. “Was meinst du damit?”
“Ich meine nicht, dass ich sterben will”, sagte Shelly schnell. “Es tut mir nur so leid, dass sie drei ganze Jahre weniger auf der Welt war als ich.”
Daria lächelte und zog ihre Schwester nah an sich heran. “Du bist wirklich ein Goldstück.” Shellys Argumentation rührte sie. Sie war froh darüber, im Einsatzbericht gelogen zu haben. Und sie würde auch in der Besprechung am nächsten Tag lügen. Wie konnte Pete nur von ihr verlangen, ihre Schwester alleinzulassen?
Rory legte den Arm um Daria. “Was für ein entsetzliches Erlebnis”, sagte er. “Ich nehme an, du hast Shelly nie erzählt, was wirklich passiert ist?”
“Du kennst Shelly zwar noch nicht lange, aber sicher kennst du sie gut genug, um zu wissen, dass sie damit nicht fertig werden würde.” Sie lehnte den Kopf an die Fliegengittertür hinter sich und sah in den Sternenhimmel. Rorys Arm fühlte sich auf ihren Schultern warm und beschützend an. “Ich kann es immer noch nicht fassen, dass ich diesen
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