Sommerkussverkauf
Wagenschlüssel heraus. »Doppelt betrogen. Also gut, ich fahre jetzt los. Wirst du es Tiff sagen?«
»Dass du nach London gefahren bist?«
Oliver sah sie betont lange an. »Dass ich sein Vater bin.«
»Oh, das.« Innerlich schrumpfte sie bei der Aussicht darauf. Juliet nickte. »Wenn du es möchtest.«
»Es ist nicht die Frage, ob ich es möchte. Mittlerweile wissen es alle. Wir haben keine andere Wahl mehr.« Nach einem letzten Blick auf Tiff ging Oliver.
Während Tiff schlief, rief Juliet Jake vom Telefon im Flur der Station an. Keine zwanzig Minuten später öffneten sich die Türen der Intensivstation, und Jake stürmte herein. Juliet war immer noch erschöpft, aber viel zu freudig erregt, um zu schlafen. Hastig rieb sie sich mit den Händen das Gesicht, dann erhob sie sich schwerfällig. Im nächsten Moment fand sie sich in einer rippenbrechenden Umarmung wieder. Jake roch herrlich nach Holz und Lack und trug farbbekleckste Jeans.
Frische Farbe, stellte sie fest, als sie gleich darauf den lila Fleck an ihrem Rock sah.
Als ob das noch wichtig wäre.
Jake grinste auch. »Tut mir leid, ich konnte einfach nicht warten, ich musste sofort kommen. Das ist die beste Nachricht der Welt.«
»Ich weiß.« Juliet ließ ihn los, ihre Augen füllten sich erneut mit Freudentränen. Sie sah zu, wie er einen Stuhl an Tiffs Bett zog und den Jungen intensiv ansah. Wie durch Telepathie öffnete Tiff wenige Sekunden später die Augen.
»Jake! Du bist da!« Er grinste breit vor Entzücken, hob seine dünnen Ärmchen ein paar Zentimeter vom Bett. Jake umarmte ihn vorsichtig, um den Tropf in Tiffs Arm nicht zu berühren. Tiffs linker Arm schlang sich um Jakes Hals. Der Blick in ihren Gesichtern sagte alles. Juliet war zutiefst bewegt und hielt den Anblick beinahe nicht aus.
»Ich bin hier«, sagte Jake, »und du auch. Sophie will dich unbedingt sehen, aber deine Mum hat die Ärzte gefragt, und die hielten es für keine so gute Idee. Erst in ein oder zwei Tagen. Du musst nur schnell gesund werden, dann verlegen sie dich auf die Kinderstation. Und sobald du dort bist, darf Sophie dich so oft besuchen, wie sie will.«
»Hat sie mich vermisst?« Tiff sah erfreut aus.
»Und wie. Wir haben dich alle vermisst.« Jake strich eine Locke auf Tiffs Stirn glatt. »Nuala und Maddy kümmern sich um den Laden deiner Mum. Als ich ihnen sagte, dass es dir besser geht, haben beide geweint.« Jake schüttelte angewidert den Kopf. »Mädels!«
»Mum hat auch geweint.« Tiff fragte grinsend: »Hast du auch geweint?«
Ȇberleg dir gut, was du sagst. Wir sind
Männer
«, erklärte Jake »Wir weinen niemals.«
»Das liegt daran, dass wir Pullermänner haben«, stimmte Tiff ihm zu und wies mit wissendem Nicken des Kopfes auf Juliet. »Und die Mädels nicht.«
Jake blieb bei Tiff, während Juliet duschte und in frische Sachen schlüpfte. Sie zog das lange, türkisfarbene Kleid und die lila Strickjacke an, die Jake ihr mitgebracht hatte – nicht perfekt, aber es hätte weitaus schlimmer kommen können – und legte Lippenstift auf, als ob der Albtraum der letzten Woche nie passiert wäre.
»Bist du sicher, dass es in Ordnung ist?«, fragte Juliet Tiff zehn Minuten später zum hundertsten Mal.
»Es ist voll in Ordnung«, wiederholte Tiff geduldig. »Ich bin müde, ich schlafe gleich ein. Und wenn ich schlafe, dann gehen du und Jake essen. Und falls ich aufwache, seid ihr nicht da, aber Mel wird da sein.« Er strahlte die Schwester an. »Also ist es egal. Sie ist wie ein Babysitter.«
Fröhlich rief Mel: »Noch besser, ich koste nämlich nichts!«
Juliet fragte sich, ob nun alle Krankenschwestern sie für eine selbstsüchtige, hoffnungslos herzlose Mutter hielten, die in ein Restaurant spazierte und ihren schwerkranken siebenjährigen Sohn allein in seinem Klinikbett ließ.
»O bitte«, sagte Mel gutmütig, als sie Juliets gequälten Blick sah, »denken Sie es nicht einmal. Wir können Ihren Anblick nicht länger ertragen! Gehen Sie endlich.«
»Mel ist der Boss«, sagte Jake, dessen Idee es gewesen war. »Tu, was sie sagt, oder sie verpasst dir einen Schlag mit dem Defibrillator.«
»Jake hat sein Handy dabei«, sagte Juliet zu Tiff. »Wenn du mich brauchst, musst du uns nur anrufen. Wir können in fünf Minuten wieder hier sein.«
»Gute Nacht, Mum.«
»Und wir sind auf jeden Fall in zwei Stunden zurück.«
»’s gut«, murmelte Tiff.
O Gott, wie konnte sie ihm das nur antun? Wie konnte sie ihn so kaltblütig zurücklassen?
Weitere Kostenlose Bücher