Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
alle Elfen waren fort. Sie waren allein. »Wo sind sie denn alle hin?«
Keenan reichte ihr den Kelch, den er wieder mit diesem flüssigen Sonnenaufgang gefüllt hatte. »Wir sind ganz für uns. Später, wenn du dich ausgeruht hast, reden wir. Danach können wir jeden Abend tanzen, wenn du möchtest. Oder reisen. Ab jetzt wird alles anders.«
Nicht einmal die unsichtbaren Elfen, die sich immer am Fluss aufhielten, waren da. Sie waren wirklich allein. »Darf ich dich was fragen?«
»Natürlich.« Er hielt ihr ein Stück Obst hin. »Iss.«
Ashlyn beugte sich vor – wobei sie fast vornüberkippte –, biss jedoch nicht in die fremdartige Frucht. »Warum leuchten die anderen Elfen eigentlich nicht so wie du?«, fragte sie stattdessen flüsternd.
Keenan ließ seine Hand sinken: »Die anderen was ?«
»Elfen.« Sie wedelte mit den Armen, doch um sie herum waren ebenso wenige Elfen wie Menschen. Sie schloss die Augen und versuchte, die Welt anzuhalten, die sich wie verrückt zu drehen schien. »Du weißt schon, die Wesen , die die ganze Nacht mit uns getanzt haben, so was wie du und Donia.«
»Elfen?«, murmelte er. Seine kupferfarbenen Haare glänzten in dem Licht, das über den Himmel kroch.
»Ja.« Sie legte sich auf den Boden. »Wie du.«
Es klang so, als würde er sagen: »Und bald auch du …« Aber sie war sich nicht sicher. Alles um sie her verschwamm.
Er beugte sich über sie. Seine Lippen streiften die ihren, sie schmeckten nach Sonnenschein und Zucker. Seine Haare fielen ihr ins Gesicht.
Sie sind ganz weich, überhaupt nicht wie Metall.
Sie wollte ihm sagen, dass er aufhören sollte und dass ihr schwindlig war, aber bevor sie den Mund öffnen konnte, wurde es dunkel um sie.
Achtzehn
»Sie sind keinen schlimmen Krankheiten unterworfen,
schwinden aber nach einer gewissen Zeit dahin und
vergehen … Manche sagen, ihre immerwährende
Traurigkeit entspringe diesem unsicheren Zustand.«
Robert Kirk /Andrew Lang: Die verborgene Gemeinschaft (1893)
Früh am nächsten Morgen erwachte Donia auf dem Fußboden ihres Hauses. Sasha lag zwischen ihr und der Tür. Niemand hatte ihr eine Nachricht von Keenan überbracht, kein Wachmann an die Tür geklopft.
»Lässt er mich im Stich?«, flüsterte sie Sasha zu.
Der Wolf legte die Ohren an und winselte.
»Wenn ich mir wirklich mal wünsche, dass er kommt, lässt er sich nicht blicken.« Aber sie weinte nicht, nicht seinetwegen. Das hatte sie über die Jahre schon genug getan.
Sie hatte erwartet, dass er, wenn er von Agathas Tod erfuhr, herbeieilen und sie drängen würde, seine Hilfe zu akzeptieren. Sie hätte sie nicht annehmen dürfen, aber es wäre leichter – sicherer – gewesen als das, was sie jetzt tun musste.
»Komm, Sasha.« Sie öffnete die Tür und winkte Evan heran. Wenigstens er ist noch da.
Der Ebereschenmann kam herbei, hielt aber respektvoll Abstand. Er blieb auf dem welken Rasen vor der Veranda stehen, bis Donia sagte: »Kommen Sie rein.«
Sie wartete nicht, um zu sehen, ob er ihrer Aufforderung nachkam. Die Vorstellung, einen von Keenans Wachmännern in ihr Haus zu bitten – selbst Evan, der seit Jahrzehnten unentwegt anwesend war –, machte sie nervös.
»Hat Keenan das mit Agatha erfahren?«, fragte sie und wies ihm den am weitesten entfernten Stuhl zu.
»Als Skelley zu seinem Loft kam, war er ausgegangen. Einer von den anderen ist zur Festwiese gegangen, um ihn zu suchen.« Evan räusperte sich, aber sein Blick war fest. »Er war ganz von der neuen Königin in Anspruch genommen.«
Sie nickte. Also ist sie es wirklich . Beira würde außer sich sein, eine Macht, vor der man sich fürchten musste.
Es war so lange her, dass Donia wirklich viel zu befürchten gehabt hatte. Da sie zwischen Keenan und Beira stand, war sie geschützter als andere Elfen oder Sterbliche.
»Ich bitte Sie, einigen Wachen zu gestatten, näher ans Haus heranzurücken.« Er fiel auf die Knie und erwies ihr damit einen Respekt, den Leute seinesgleichen anderen Elfen außer Keenan nur selten entgegenbrachten. »Lassen Sie mich hier bei Ihnen bleiben.«
»In Ordnung«, murmelte sie und überging sowohl seinen kurzen schockierten Blick als auch ihre Verärgerung darüber. Ich kann auch vernünftig sein. Dann sagte sie, was sie noch nie zu einer von Keenans Wachen gesagt hatte: »Richtet Keenan aus, dass ich ihn hier brauche. Sofort.«
Skelley brauchte nicht lange, um Keenan die Botschaft zu überbringen, so dass Donia auch nicht viel Zeit blieb, sich
Weitere Kostenlose Bücher