Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
Elfen für die Totenwache holen. Und auch einige von Donias.« Irial grinste bei dem Gedanken an die mürrischen Winterelfen. »Ach, zum Teufel, und bringt auch welche von Sorchas Elfen mit, wenn ihr ein paar von den scheuen Dingern auftreiben könnt. Ihr Hof des Lichts ist ja zu nichts anderem gut. Ich werde keinen Krieg billigen, aber lass uns ein paar Kämpfe anzetteln.«
Bei Einbruch der Nacht saß Irial auf seiner Empore und ließ den Blick über seine trauernden Elfen schweifen. Sie wanden sich, liefen hin und her, heulten. Die Glaistigs, Elfenfrauen mit grauer Haut und langen blonden Haaren, die von der Hüfte abwärts Ziegenleiber hatten, tropften überall schmutziges Flusswasser auf den Boden; mehrere Todeselfen hielten weiterhin Totenklage. Die Gabrielhunde – die ihre Menschengestalt trugen und deren Haut mit silbernen Ketten und sich bewegenden Bildern aus Tinte geschmückt war – trieben untereinander ihre Scherze, doch untergründig schienen sie angespannt. Jenny Grünzahn und ihre Sippschaft starrten mit ihren tellergroßen Augen anklagend in die Runde. Nur die Distelelfen wirkten ruhig; sie genossen die Angst der anderen und nährten sich von der Panik, die den Raum erfüllte. Sie alle wussten, dass sich bereits grollend ein Aufstand ankündigte. Der Tod einer Elfe war Grund genug, zu extremen Maßnahmen zu greifen. Verfeindete Parteien und aufrührerisches Getuschel gab es immer: Das gehörte zum Status quo. Doch jetzt hatte eine der Ihren den Tod gefunden. Das veränderte alles.
»Haltet euch von den Straßen fern« – Irial beobachtete sie aufmerksam und suchte Zeichen mangelnden Einverständnisses, schätzte ab, wer auf Bananachs Seite überlaufen würde, wenn sie begann, sie für ihren Krieg zu versammeln –, »bis wir wissen, wie geschwächt wir sind.«
»Töte die neue Königin. Oder alle beide«, knurrte eine der Hundselfen. »Und auch den Sommerkönig, wenn nötig.«
Die anderen Hunde stimmten mit ein. Die Ly Ergs in ihren Söldneruniformen rieben sich schon voller Vorfreude ihre blutroten Händflächen. Einige aus Jennys Sippschaft grinsten und nickten dazu. Bananach saß schweigend in ihrer Mitte; sie musste ihre Stimme nicht erheben, damit Irial wusste, was sie dachte. Gewalt war ihre einzige Leidenschaft. Sie legte den Kopf schief, wie ein Vogel, und beobachtete die anderen. Irial lächelte sie an. Sie öffnete und schloss ihren Mund, als wolle sie ihn beißen, und erzeugte dabei ein hörbares Schnappgeräusch. Ansonsten rührte sie sich nicht. Sie wussten beide, dass sie seine Pläne nicht guthieß; und sie wussten beide, dass sie ihn herausfordern würde. Wieder einmal . Wenn sie könnte, würde sie ihn töten, um Zwietracht am Hof zu säen, doch Dunkelelfen konnten ihre Regenten nicht umbringen.
Das Gemurre wurde ohrenbetäubend laut, bis Gabriel mit einer Geste seiner Hand alle zum Schweigen brachte. Als Stille eingekehrt war, sagte er mit einem bedrohlichen Lächeln: »Euer König hat gesprochen. Ihr werdet ihm gehorchen.«
Keiner wagte zu widersprechen, wenn Gabriel knurrte. Nachdem er vor vielen Jahren einen seiner eigenen Brüder abgeschlachtet hatte, weil dieser Irial den Respekt verweigerte, wagte es kaum jemand mehr, ihn zu provozieren. Wenn Gabriel sich auf die Seite der Gewalt schlüge, würde Irial versuchen, ihm seinen Thron zu übergeben. All die Jahrhunderte hatte Irial nach einem Nachfolger gesucht und nur einen einzigen Elfen gefunden, der geeignet gewesen wäre, sie zu führen – doch dieser Elf hatte den Thron abgelehnt, um einem anderen zu dienen. Irial schob den Gedanken beiseite. Er war noch immer für den Hof der Finsternis verantwortlich, und darüber zu sinnieren, was hätte sein können, half auch nicht weiter.
»Wir sind nicht stark genug, um gegen einen anderen Hof zu kämpfen, und erst recht nicht gegen zwei oder drei, die zusammenarbeiten«, sprach er. »Oder kann mir irgendwer von euch glaubhaft versichern, dass der junge Sommerkönig und die neue Winterkönigin nicht kooperieren würden? Könnt ihr mir versprechen, dass Sorcha sich nicht auf die Seite jedes anderen« – er hielt inne und bedachte Bananach mit einem Lächeln –, » fast jedes anderen stellen würde, der sich gegen mich erhebt? Krieg ist nicht der richtige Weg.«
Er verschwieg, dass er keine Lust auf einen echten Krieg verspürte. Das hätte als ein Zeichen von Schwäche gedeutet werden können, und ein schwacher König würde seinem Hof nicht lange vorstehen. Hätte
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