Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
einhalten wollte und auch nicht, während Bananach hinter ihnen in den Straßen lauerte.
Und darauf musste er sich jetzt konzentrieren – auf die Bedrohung, die Bananach darstellte. Niall drehte den Kopf, um die kriegslüsterne Elfe besser im Blick zu haben. Dabei spielte er verschiedene Möglichkeiten durch, sich unerkannt zurückzuziehen, doch er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Bananach sah wie immer mörderisch schön aus; der mit Rabenfedern bedeckte Kopf ihrer wahren Gestalt wetteiferte mit den glatten schwarzen Haaren, die ihr als Tarnung dienten. Sie war eine der brutalsten und rücksichtslosesten Elfen an Irials Hof; sie war es auch, die einmal Irials Absetzung betrieben hatte und seitdem ständig danach trachtete, es wieder zu tun – nicht um die Macht an sich zu reißen, sondern einfach um Zwietracht an diesem Hof zu schüren. Dass sie mit ihren Söldnerelfen in Huntsdale unterwegs war, verhieß nichts Gutes.
Wir sollten gehen. Wir sollten …
Leslie schmiegte sich enger an ihn. Er sog noch einmal tief diesen eigentümlich süßen Duft ein, der sie so unverwechselbar machte. Sterbliche rochen alle verschieden. Er hatte schon fast vergessen, wie sehr ihm das immer gefallen hatte. Er küsste ihren Hals, damit ihr nicht auffiel, dass er ihrem Gesicht auswich. Bananach hat uns noch nicht gesehen. Wir haben noch ein paar Minuten.
»Wenn ich könnte, würde ich für immer bei dir bleiben«, murmelte er Leslie zwischen zwei Küssen zu.
Und er meinte es auch. In diesem Moment war er ganz und gar ehrlich. Er war schon zu lange Teil des Sommerhofs, um es für alle Ewigkeit zu meinen, und davor war er noch weniger zu Treue fähig gewesen, aber in diesem Augenblick, während ihr sterblicher Körper sich an ihn schmiegte, meinte er es mit der ganzen Leidenschaft, deren er fähig war.
Was ist denn so schlimm daran, wenn ich ein Weilchen bei ihr bleibe? Wenn ich gut aufpasse … Es würde ihr erst dann schlechtgehen, wenn er sie wieder verließ. Aber das konnte er ja einige Jahrzehnte hinauszögern.
Er spürte, wie hinter ihm die Straße erbebte; Gabriel und einige seiner Hunde waren im Anmarsch. Niall erstarrte. Gegen Bananach, mehrere Ly Ergs und Gabriel zusammen hatte er keine Chance.
Und wie erkläre ich das Leslie?
Aber als er noch einmal über die Schulter nach hinten schaute, sah er, dass Gabriel und die anderen unsichtbar waren. Leslie würde sie weder hören noch sehen.
Gabriel schickte mehrere Hunde aus, an deren Namen sich Niall nicht erinnerte – oder es nicht wollte –, und sie stürzten sich mit Feuereifer auf die Söldnerelfen. Dann sagte er zu Niall: »Jetzt aber los, Junge, es sei denn, du willst uns behilflich sein.«
Niall erwiderte nur Gabriels Blick, da antworten nicht möglich war.
»Bring sie hier weg, Gancanagh.« Gabriel neigte sich nach links, um Bananach auszuweichen, die auf ihn zuflog. Sie bot einen herrlichen Anblick, da sie sich mit einer Eleganz auf Gabriel stürzte, mit der sich nur wenige Elfen messen konnten. Anstatt ihr ganz aus dem Weg zu gehen, blieb Gabriel jedoch zwischen Bananach und Niall stehen.
Die Rabenfrau riss ein Stück Fleisch aus Gabriels Unterarm, auf dem Irials Befehle geschrieben standen.
Das wütende Knurren, mit dem Gabriel sich daraufhin über Bananach hermachte, ließ die Hauswand erzittern.
Niall drehte sich um und Leslie taumelte mit ungerichtetem Blick gegen ihn. Sie schloss die Augen und schwankte, als würde sie vornüberkippen. Ihm stieg die Schamesröte ins Gesicht. Ihre Küsse hatten sie verwundet und ihn in einem Maße abgelenkt, das überaus leichtsinnig war. Wäre Gabriel nicht gewesen, hätte Bananach sich binnen kurzem auf sie gestürzt.
Was ist denn mit mir los? Er musste doch in der Lage sein, einem sterblichen Mädchen zu widerstehen, vor allem in einer so lebensbedrohlichen Situation. Er hatte schon immer süchtigmachend auf Sterbliche gewirkt, doch er war seinerseits noch nie süchtig nach einer von ihnen geworden. Sie hatten ihn trunken gemacht und so berauscht, dass er kaum noch stehen konnte, aber er hatte ihnen immer auch widerstehen können. Er schaute Leslie an. Sie war hübsch, aber hübschen Mädchen war er im Laufe der Jahre schon so vielen begegnet. Ihre Schönheit war kein hinreichender Grund dafür, dass er derart die Kontrolle über sich verlor. Das alles ergab einfach keinen Sinn. Er musste sich zurückziehen. So konnte er sie nicht vor Irials Elfen beschützen – und auch nicht vor ihm selbst.
Er
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