Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
Hand an seine Lippen und drückte ihr einen Kuss auf die Unterseite ihres Handgelenks.
Sie vergaß, ihn noch einmal aus dem Augenwinkel anzusehen, vergaß die Schatten, die auf sie zugekrochen waren. Es war wie eine Entscheidung. Sie konnte auf die Hässlichkeit schauen, die merkwürdigen und falschen Dinge, oder sie konnte das Leben genießen. Und das wollte sie: Vergnügen statt Hässlichkeit. Niall bot es ihr an.
Er neigte sich zu ihr hin, bis sein Gesicht über dem Pulsschlag an ihrem Hals schwebte. Sie meinte ihn sagen zu hören: »Wenn du wüsstest, was ich alles dafür geben würde, um mit dir zusammensein zu können …« Doch dann wich er zurück und Distanz kehrte in seine Stimme zurück. »Lass mich dich zu Seths Waggon bringen. Wenn du möchtest, wenn du mich lässt, bleibe ich neben dir sitzen, bis du eingeschlafen bist.«
»Okay.« Leslie fühlte sich schwindlig und taumelte gegen ihn.
Niall legte seine Hände an ihr Gesicht. »Leslie?«
»Ja. Bitte.« Sie fühlte sich ganz high, außer sich vor Glück. Das war schön – und sie wollte mehr davon.
Seine Lippen waren ihrem Gesicht so nah, dass sie bei jedem Wort seinen Atem spürte. »Es tut mir leid. Ich sollte dich nicht …«
»Ich habe doch ja gesagt.«
Und er schloss den winzigen Abstand zwischen ihnen und küsste sie. Sie spürte dasselbe Rauschen eines starken Windes, das sie in seiner Stimme zu hören geglaubt hatte. Sie spürte, wie es sie einhüllte, als wäre die Luft zu etwas Festem geworden, das sie überall zugleich berührte, weich und doch auch unnachgiebig. Auch der Boden fühlte sich verändert an, so als stünde sie auf dichtem Moos und brauchte nur nach unten zu schauen, um es zu sehen. Sie fühlte sich euphorisch, doch irgendwo tief in ihr begann Panik an die Oberfläche zu steigen. Sie schob ihn weg und schlug die Augen auf.
Er hielt sie noch fester und flüsterte: »Es ist gut. Alles ist gut. Wir können … aufhören.«
Aber sie hatte plötzlich das Gefühl, am Rande eines Abgrunds zu stehen, spürte ein Flirren von Geschmäckern und Farben, die sie bislang nicht gekannt hatte. Die Panik verflog und all ihr Denken konzentrierte sich nun darauf, einen Weg in diesen Abgrund zu finden, sich hinunterzuwerfen. Dort gab es keinen Schmerz. Dort gab es nur Ekstase, betäubende, allumfassende Ekstase.
»Nicht aufhören«, murmelte sie und zog ihn wieder an sich.
Das ist nicht gut . Sie wusste das, aber es war ihr egal. An den Rändern ihres Blickfeldes tanzten winzige Schattenbänder und wirbelten aufwärts, als streckten sie sich dem Mond entgegen, um ihn zu verschlingen. Oder mich. Und in diesem Moment hoffte sie, dass es ihnen auch gelingen würde.
Achtzehn
Während Niall Leslie durch die Stadt zu Seths Waggon begleitete, fragte er sich, wie lange er es wohl aushalten würde, von so viel Stahl umgeben zu sein. Ein Besuch in diesem Teil der Stadt war für alle Elfen schmerzhaft – es sei denn, sie waren Könige. Das war auch der Grund, weshalb er Leslie dort wissen wollte, denn da war sie vor den neugierigen Blicken von Irials Dunkelelfen sicher. Irial selbst ließ sich dadurch nicht abschrecken, aber vor den anderen Mitgliedern des Hofs der Finsternis hatte Leslie bei Seth nichts zu befürchten. Allerdings würde Niall dieser Ort ebenfalls krank machen.
Geschieht mir nur recht. Er hatte die Sache zu weit getrieben, hatte Grenzen überschritten, die für ihn eigentlich tabu waren. Nach so langer Zeit hätte er um ein Haar dem nachgegeben, was er eigentlich war – und sie würde sterben, wenn er es wirklich tat.
»Bist du noch da?«, fragte sie.
»Ja, ich bin hier.« Als er sich zu ihr umdrehte, erblickte er sie – Bananach und einige von Irials aufrührerischen Elfen. Sie waren noch nicht nah genug, um Leslie erkennen zu können, aber wenn Niall sie nicht versteckte, würden sie sie unweigerlich entdecken. Also zog er Leslie in einen dunklen Hauseingang und stellte sich so vor sie, dass er sie vollständig verdeckte. Sie leistete keinen Widerstand. Stattdessen legte sie ihren Kopf in den Nacken, damit er sie erneut küssen konnte. Nur noch ein Kuss.
Diesmal löste er sich etwas behutsamer wieder von ihr und genoss dabei den glasigen Blick in ihren Augen, das Wissen, dass sie sich beinahe ganz fallengelassen hatte; seinen Zauber erhielt er dabei aber die ganze Zeit bruchlos aufrecht. Er hätte sie gern gefragt, was sie vorhin gehört und gesehen hatte, aber das konnte er nicht – nicht wenn er Ashlyns Regeln
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