Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
Keenan mit offenem Mund an: Er klang völlig anders, wenn Ashlyn bei ihm war, und auch anders, als er im Herbst geklungen hatte, als er für einige Wochen die Bishop O. C. besucht hatte. Er klang alt, viel älter, als er eigentlich sein konnte, und absolut gefühlskalt.
»Sei in Zukunft vorsichtiger und amüsier dich gut, mein Gancanagh -Freund.« Nachdem er Leslie noch mit einem Blick bedacht hatte, von dem sie sich so entblößt fühlte, dass sie sich am liebsten verkrochen hätte, ging Keenan davon.
Niall saß einfach nur da und schaute schweigend in die Dunkelheit.
Leslie berührte seine Stirn, seinen Hals, seine Brust: Das Fieber war verschwunden. Er wirkte körperlich wieder gesund – müde, aber gesund.
»Keenan meint es nur gut, aber er macht sich nun mal Sorgen …«
»Er ist unverschämt. Und respektlos. Er ist nicht der, für den er sich in Ashlyns Gegenwart ausgibt. Er …«, sie unterbrach sich und korrigierte ihren Tonfall. »Wenn es auch nur einen Grund gibt, nett zu ihm zu sein, dann wäre jetzt ein guter Zeitpunkt, ihn mir zu nennen.«
»Das kann ich nicht. Er steht einfach unter Stress. Ashlyn hilft ihm, aber es gibt so vieles, was ich dir nicht sagen kann. Ich würde es tun, wenn ich dürfte. Ich würde dir alles sagen. Danach würdest du vielleicht nichts mehr von mir wissen wollen, aber …« Er zog sie auf seinen Schoß und schaute sie an.
»Aber was?« Sie legte die Arme um ihn. Und ihre Wut auf Keenan, ihr Misstrauen, ihr Unbehagen – all das fiel plötzlich von ihr ab.
»Ich hoffe natürlich, dass du mich weiterhin sehen willst, wenn du alles weißt. Es wird deine Entscheidung sein, aber ich hoffe wirklich, dass du mich auch danach noch in deiner Nähe haben willst.«
Sie war sich nicht sicher, ob sie es wissen wollte, aber sie musste es wissen. Sie mochte Niall, weitaus mehr, als nach so kurzer Zeit angemessen war, aber sie hatte nicht vor, sich weiter auf ihn einzulassen, wenn er in irgendein Verbrechen verwickelt war. Davon hatte sie in ihrem Leben schon genug gehabt. »Bist du in irgendwas Illegales verwickelt?«
»Nein.«
»Keine Drogendeals?« Ihr Körper spannte sich an, während sie auf seine Antwort wartete.
»Nein. Ich doch nicht.«
»Keenan?«
Niall lachte schnaubend. »Das würde Ashlyn niemals zulassen. Selbst wenn er wollte – was er nicht tut.«
»Hmm.« Sie dachte nach: darüber, dass Keenan fast nie allein irgendwohin ging, über den seltsamen Club, über diese merkwürdige Allergie, über die Heimlichkeiten, in denen Ashlyn und auch Seth irgendeine Rolle zu spielen schienen. Nichts davon passte zusammen; es ergab einfach keinen Sinn, egal, wie sie es drehte und wendete.
Was mich in Panik versetzen sollte. Aber ihre Gefühle passten nicht mehr zu ihren Gedanken. Was mir ebenfalls Angst machen sollte.
Sie schaute Niall an und fragte: »Wie hat er dich genannt?«
»Gancanagh. Das ist eine Art Familienname. Aber mehr kann ich dir im Augenblick nicht verraten.« Niall seufzte und zog sie an sich. »Heute Abend werde ich dir alle deine Fragen beantworten, aber Ashlyn … Sie muss zuerst mit dir reden. Also: Bis heute Abend keine Fragen mehr. Ich werde ihr erklären, dass wir, dass du … Sie wird es verstehen. Wir treffen uns im Crow’s Nest, einverstanden? Dann reden wir mit ihr.«
Sie hätte ihn gern gedrängt, es ihr jetzt sofort zu erzählen, aber seine Anspannung und sein ernster Tonfall sagten ihr, dass sie damit keinen Erfolg haben würde. Sie drehte sich so, dass sie ihm in die Augen sehen konnte. »Versprich mir, dass du mir alles sagst. Heute Abend.«
»Versprochen«, erwiderte Niall lächelnd.
Leslie küsste ihn vorsichtig. Sie wusste, dass er ihr alles sagen würde; was das betraf, hatte sie ein gutes Gefühl – was ihn betraf, hatte sie ein gutes Gefühl.
Doch er wich zurück und fragte unvermittelt: »Zeigst du mir mal, was von deinem Tattoo schon fertig ist? Oder ist es an einer unanständigen Stelle?«
Sie lachte. »Es sitzt zwischen meinen Schulterblättern. Du lenkst ja ganz schön geschickt vom Thema ab.«
Aber es hatte funktioniert – oder vielleicht war es auch der Kuss, der sie so entspannte. Obwohl er so zurückhaltend war, reagierte sie körperlich so heftig auf ihn, wie sie es gar nicht mehr für möglich gehalten hatte.
»Darf ich es denn mal sehen?« Er hielt sie immer noch im Arm und beugte sich ein wenig vor.
»Heute Abend. Rabbit macht es nach der Arbeit fertig. Dann darfst du es sehen – wenn es ganz fertig
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